1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Arbeiten beschäftigt, auf ihrem Zimmer saßen, um ihnen vorzulesen, was die Zeitungen meldeten. Die Spannung beider Mädchen war so groß, daß ihnen unwillkürlich die Nadel entsank; bei jedem neuen Kampfe, der geschildert wurde, bebten sie aufs neue für die Ihrigen. Zumal als es hieß: »Jetzt erhielt der König von Neapel Befehl vom Kaiser, was ihm an Kavallerie zu Gebote stehe, zusammenzuraffen und damit die russischen Linien zu werfen, so daß die furchtbare Redoute in der Kehle angegriffen werden könnte. Zwei sächsische Kürassierregimenter, drei polnische leichte Kavallerieregimenter –« Hier fing Lodoiska an zu zittern und erbleichte; selbst die ruhigere Marie wechselte die Farbe. Rasinski wurde nicht genannt, doch eine Ahnung sagte ihnen, er sei mit seinem Regimente dabeigewesen. Diese Vorstellung wirkte mächtig ein; die Beschreibung des Gefechts war lebhaf, sie gestand große Verluste ein, schilderte aber auch den Triumph des Sieges mit glänzenden Farben.
Die Gräfin hatte geendet. Wie auf ein verabredetes Zeichen sprangen beide Mädchen, die bisher in bebender Spannung gesessen hatten, auf und sanken einander in die Arme. Es war die tiefste Rührung über die Rettung ihrer Geliebtesten aus diesem furchtbaren Gewitter des Kampfes. Selbst die Gräfin wurde weich, schloß die Mädchen sanft an sich und neigte ihr mütterliches Haupt gegen sie hinab.
Am fünften Tage erst kam ein zweiter Brief von Rasinski, in welchem mit Bleistift geschriebene Blättchen von Ludwig und Jaromir lagen. Rasinski schrieb: »Teuere Schwester! Seit vier Tagen verfolgen wir den Feind rastlos und haben täglich Scharmützel. Dennoch rücken wir nur langsam vor, weil die Russen sich in guter Ordnung zurückziehen. Es würde nicht so sein, wenn unsere Erschöpfung es möglich gemacht hätte, sie schneller zu verfolgen. Die Sorge für die Verwundeten, für unsere Verpflegung, nimmt jetzt fast jeden Augenblick in Anspruch. Deshalb nur diese wenigen Zeilen. Wir haben viele teuere Freunde verloren! Zwei Dritteile meines Regiments liegen auf den Anhöhen von Semenowskoi, unter ihnen auch mein alter getreuer Petrowski, dessen Leiche ich nicht einmal aufsuchen und bestatten konnte. Seit Jahrtausenden ward keine so blutige Schlacht gefochten. Unsere Anstrengungen sind unbeschreiblich, doch mit der Hilfe Gottes sind wir noch wohlauf und rüstig. Über dem blutigen Schlachtfelde von Borodino wird Polens Sonne der Freiheit aufgehen! Darum, Johanna, trauere nicht über die Toten. Das Vaterland wird ihnen Denksteine setzen, daß ihr Ruhm unvergänglich glänze. Lebe wohl, Johanna! Die Morgenröte bricht endlich an! Freue Dich! Dein Bruder.«
Ludwigs Blättchen lautete: »Marie! Tage brauchte ich, um mein Herz gegen Dich auszusprechen, und kaum Minuten werden mir. Am Abend vor der Schlacht erfuhr ich den Tod unserer Mutter. O Dein lieber tröstender Brief! Mitten im Getümmel des Kampfes war mein Herz nur bei Dir, Du Arme, und die drohenden Gefahren verloren fast ihre Macht an mir. Bernhard ist die treueste Seele dieser Erde; er glaubte mich verloren und suchte mich unter den Toten. Aber wir fanden uns als Lebende. Leb wohl! Verzage nicht! Der Tag des Wiedersehens und des Glücks kommt auch für uns. Daß mich die furchtbare Schlacht verschonte, sei Dir Bürge dafür!«
Jaromir schrieb nur: »Lodoiska, mein holdestes Leben! Zittere nicht mehr, alle Gefahren sind vorüber! Die Schlacht war gewaltig – auch ich betrauere viele treue Brüder und Genossen. Doch mich beschützte Dein Flehen! Dir danke ich alles, Glück und Leben. O könnte ich erst wieder an Dein Herz sinken! Boleslaw, Ludwig und Bernhard leben. Teuerste, lebe wohl und gedenke denke mein!
Dein ewig getreuer Jaromir.«
Diese ersten Nachrichten von der eigenen Hand der Geliebten machten die Frauen unbeschreiblich glücklich. Jede leise Spur der Zweifel war nun verschwunden, sie überließen sich ganz dem glücklichen Gefühl, welches nach der überstandenen düstern Sorge und Gefahr der Brust die süßeste Belohnung gewährt. Nach wie vor besuchte Lodoiska täglich die Messe. Doch ihre Gebete waren jetzt Dankgebete geworden, und ihre Tränen wurden nicht mehr von Angst und Sehnsucht erpreßt, sondern sie flossen in dankbarer Rührung.
So verging eine Woche. Da traf die Nachricht von dem Einrücken des kaiserlichen Heeres in Moskau ein. Aus der Burg der alten Zaren war das Bulletin gezeichnet, wodurch der Kaiser diesen neuen, letzten Sieg dem staunenden Europa bekannt
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