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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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wuchs. Man schilderte die zerstörte Stadt als einen Aschenhaufen, der keinem lebendigen Wesen mehr Obdach gebe, als einen ausgebrannten Krater, wo der letzte Funke des Lebens erstorben sei. Unter der Asche sollten die verbrannten Gebeine des Heeres vergraben, nur wenige Führer und einzelne, die ein Wunder beschützt habe, entkommen sein. Man konnte sich's nicht denken, daß solch ein Wurf gewagt worden sei, wenn es nicht unzweifelhaft war, alles darauf zu gewinnen. Darum sagte man schon den Kaiser auf der Flucht, ja, einige wollten wissen, er sei bereits in Warschau. Die Besonnensten, Hoffnungsreichsten glaubten wenigstens nicht mehr an den Frieden, sondern hielten diese Tat für den unumstößlichsten Beweis, daß der Kampf jetzt erst recht beginnen sollte.
    So folgte die dumpfeste Betäubung und mutloseste Bestürzung auf den kurzen Freudenrausch, den der Sieg gewährt hatte. Die Gräfin glich einem Marmorbilde, so bleich sah sie aus, seit diese Schreckensnachrichten eingetroffen waren. Nicht für das Schicksal ihres Bruders, der nächsten Ihrigen zitterte sie, sondern für das ihres Vaterlandes. Sie wähnte in dem auf nächtlich düsterm Hintergrunde brennenden Moskau das entsetzliche Spiegelbild der Zukunft Warschaus zu sehen, und im überwallenden Schmerze rief sie ängstlich prophezeiend aus: »Wer weiß, wie nahe jetzt der Tag ist, wo die Flammen über den Zinnen meiner Vaterstadt zusammenschlagen, zur Sühne für das grausenvolle Brandopfer, das Rußland seiner Freiheit gebracht hat!«
    Lodoiska war ohne alle Fassung; nur Marie bewahrte in stiller, ergebener Seele die Ruhe, diese schönste Frucht des Glaubens und der Erkenntnis zugleich. Sie, die sich dem Taumel des Glücks nicht frei hatte hingeben können, sondern nur entferntere Hoffnungen an das Geschehene knüpfte, war jetzt auch nicht so tief in den Abgrund der Hoffnungslosigkeit gestürzt. Die Gräfin, abgeschlossen und einig mit sich selbst, wie sie war, bedurfte keines Trostes; sie stand entsetzt, aber fest, ohne zu beben, an den geöffneten Pforten des Verderbens. Doch Lodoiska wurde von dem Sturm der Ereignisse wie eine schwankende Rebe bewegt; sie bedurfte des Anhalts. Die liebevoll tröstende Marie, welche jedes Fünkchen der Hoffnung mit erfinderischer Liebe zu nähren wußte, war ihre Stütze. Denn vor der erstarrten, festen Gestalt der Gräfin schauerte Lodoiska heimlich zurück, weil sie in den ernsten Blicken derselben, in den tiefen Zügen ihres erhabenen Grams den heimlichen Vorwurf zu lesen glaubte: Du trauerst um nichts als um deine arme, kleine Liebe! Deine Seele ist nicht groß genug, den Verlust eines Vaterlandes zu empfinden. Möchten alle den Untergang gefunden haben in den Flammen, in der Aschenwüste, wenn du nur den Geliebten gerettet hast! Lodoiska täuschte sich; diese strenge Sprache würde Johanna nicht geführt haben, dazu fühlte ihr Herz zu liebend menschlich das Weh in fremder Brust.
    Doch schnell änderte sich die Lage der Dinge wieder. In diesen Zeiten schwankte jedes Lebensschiff auf stürmischem Meere. Bald erblickte man von dem Gipfel der Welle den nahen Hafen, die Rettung, den Sieg; bald türmten sich die Wogen hoch über das Haupt und ließen kaum noch einen Streifen des ewigen Himmels wahrnehmen. Es kamen spätere Nachrichten aus Moskau, die den Beweis führten, daß das Heer nicht gefährdet sei, daß man, trotz der schreckenvollen Zerstörung, Wohnplätze zu Winterquartieren genug übrig behalten habe, daß der Krieg zwar noch fortdauere, aber doch bereits die ersten Schritte zu Friedensunterhandlungen geschehen waren. Jetzt verschwand die Bestürzung, welche die Kunde von dem Unheil erregt hatte, und neue Hoffnungen keimten empor. Nur auf Nachrichten von den Ihrigen warteten die Frauen noch, um sich ganz der Freude hinzugeben. Da trafen eines Abends zwei Briefe zugleich ein; der eine, von Jaromirs Hand, war an Lodoiska, der andere von Rasinski an seine Schwester gerichtet. Dies fiel auf, da sonst alles in Rasinskis Briefe eingeschlossen zu sein pflegte. Lodoiska war in der Vesper; die Gräfin öffnete daher nur den Brief Rasinskis an sie; er war vom 15. September, dem Tage nach dem Beginn des Brandes, datiert und lautete:
    »Teuerste Schwester! Wir sind, was unsern Teil anlangt, einem großen Unheil auf die wunderbarste Weise entkommen. Moskau steht halb in Flammen! Es herrscht eine beispiellose Verwirrung. Wir mußten aus der Stadt ins Feld hinausrücken und stehen jetzt im Lager. Ich benutze diese erste

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