1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Minute, die ich gewinne, Dir zu melden, daß wir alle leben und unversehrt sind. Wann der Brief abgehen wird, weiß ich nicht. Oberst Regnard, den ich eben sprach, besorgt ihn zur Post.
Dein Bruder.«
Doch in dem Briefe lag noch ein besonderes, geschlossenes Zettelchen mit der Aufschrift: »Für Dich allein.«
»Wir vermissen Jaromir! Verschweige dies Lodoisken. Daß er verunglückt sei, ist fast undenkbar. Ich mußte ihn mit einer Meldung zum Marschall Mortier senden; so kam er von mir ab. In der ungeheuern Stadt, bei der grenzenlosen Verwirrung aber ist nichts leichter als sich zu verirren. Morgen, hoffe ich, sind wir wieder beisammen. Ich schreibe dies nur Dir, weil ich Dir heilig versprochen, Dir niemals etwas zu verhehlen. So darfst Du mir auch glauben, daß ich nichts für Jaromir fürchte.«
Als die Gräfin den verschlossenen Zettel gelesen hatte, glaubte sie natürlich, der zugleich mitgekommene Brief Iaromirs werde seine Vermissung erklären. Sie hielt ihn mit der größten Wahrscheinlichkeit für später geschrieben und nachträglich zur völligen Beruhigung Lodoiskas abgesandt. Darum freute sie sich auf die Rückkehr derselben, um sie mit dem Briefe zu überraschen. Marie teilte diese Meinung. Nach einer kurzen halben Stunde kam Lodoiska zurück. Die Gräfin trat ihr mit dem Briefe entgegen, hielt ihn halb scherzend, denn sie war in sehr froher Stimmung, daß ihr nun auch die letzten Bekümmernisse vom Herzen genommen waren, in die Höhe und rief: »Was gibst du mir für diesen Brief, Lodoiska?«
»Von Jaromir?« rief sie mit vor Freude glänzenden Augen; dabei zog sie verlangend die emporgehobene Hand der Gräfin mit der Linken herab und schmeichelte ihr mit der Rechten. Ein herzlicher Kuß war der Lohn, den das glückliche Mädchen für den Schatz gab. Dann öffnete sie hastig, mit Wangen, die hoch von Freude und Erwartung gerötet waren, den Brief und hielt ihn gegen das Licht, um ihn zu lesen. Aber als sei sie plötzlich an den Rand eines entsetzlichen Abgrundes geraten, schauerte sie zusammen, wurde blaß wie der Tod, ließ die Hände kraftlos herabsinken und das Papier fallen. Ein Schrei, den sie ausstoßen wollte, erstickte in der beklemmten Brust; ihre Stimme wankte, und noch ehe die Gräfin und Marie ihr zu Hilfe eilen konnten, sank sie bewußtlos zu Boden.
»Um des Himmels willen, was fehlt dir?« rief die Gräfin und suchte mit Mariens Hilfe, die angstvoll herbeigeeilt war, die Niedergesunkene emporzurichten; nur mühsam gelang es, sie auf das Sofa zu bringen. Die Gräfin schellte nach Hilfe. Marie nahm den entfallenen Brief vom Boden auf und sah, indem sie einen flüchtigen Blick daraufwarf, daß er nur eine Zeile enthielt. Sie wagte ihn nicht zu lesen; doch die Gräfin nahm denselben ohne Bedenken und las ihn. Er enthielt nichts als die Worte: »Heuchelnde! Treulose! Wir sind auf ewig geschieden! Jaromir.«
Beide Frauen waren sprachlos, erstarrt vor Erstaunen. »Der Schlag mußte die Arme freilich zu Boden schmettern«, sprach die Gräfin mit dem Tone innerster Empörung. »Darauf konnte sie nicht gefaßt sein! Es ist unwürdig, abscheulich, ein Frevel ohne Maß und Gleichen!« In heftiger Bewegung ging sie auf und ab im Zimmer; Marie las zu ihrer eigenen Überzeugung das unheilvolle Blatt noch einmal und legte es dann mit zitternden Händen, wie entsetzt vor dem kalten Eishauch, mit dem diese Zeilen erstarrend in die warme Brust der Liebe eindrangen, zurück. »O, du Unglückselige,« sprach sie, indem sie sich über das Haupt der Ohnmächtigen beugte, »wie sollen wir dir den Schmerz dieser Kunde lindern!«
Lodoiskas Mädchen war eingetreten. Sie erschrak über den Anblick ihrer Gebieterin. »Die Gräfin ist plötzlich unwohl geworden; sie muß zu Bett gebracht werden. Kasimir soll zum Arzt eilen. Bestelle dies und komm eilig zurück.« Auf diese mit mühsamer Fassung und Kälte gesprochenen Worte der Gräfin verließ das Mädchen den Salon wieder. Marie hatte indessen Lodoiskas Schläfe mit kaltem Wasser genetzt, um sie zur Besinnung zurückzubringen. Die Gräfin ging noch immer heftig auf und nieder. »Darin erkenne ich die Männer! Ihre eigene Schlechtigkeit öffnet ihr Herz jedem unwürdigen Argwohn! Wer hätte ahnen sollen, daß auf dieser reinen Seele der schwärzeste Verdacht ruhen könnte! Dies Herz, das sich in der Glut seiner Liebe verzehrte, wird der Treulosigkeit angeklagt! Abscheulich! Unerhört! Grenzenlos abscheulich! Und welche Beweise kann der leichtsinnige Frevler,
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