1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
machte. Nun also war das große Ziel, der heißgewünschte Friede errungen. Denn mit wem sollte man Krieg führen, wenn es keine Feinde mehr zu besiegen gab? Jetzt lebten alle Hoffnungen in den Herzen auf, jetzt endlich glaubte man den Tag der Ruhe, der Vergeltung so unendlicher Opfer anbrechen zu sehen. Der Pole fühlte sich schon wieder frei. Er hoffte wieder ein Vaterland, einen aus dem Schoße des Volks hervorgegangenen König, eine Geschichte zu haben. In diesem Gefühle war die Gräfin glücklich und stolz; Lodoiska lehnte die Hütte ihres stillen Glücks an den kühnen Palast der Hoffnungen, den ihre Pflegerin aufrichtete. Marie nährte in tiefer, warmer Brust die Keime, welche Arnheims Betrachtung der Dinge tröstend in ihr geweckt hatte. Wenn nicht gleich, so werden sie doch bald erblühen, du wirst doch noch die Tage des Glücks, der Freiheit leuchten sehen, wirst den verfolgten Bruder wieder frei und offen an dein Herz schließen, seinen getreuen Freunden die Hand bieten dürfen. Endlich werden die finstern Gewölke, durch diesen letzten furchtbaren Schlag entladen, sich teilen, und des Himmels Blau sich freundlich wieder über deinem Vaterlande wölben. Lange genug dauerten die Herbst- und Winterstürme. Es muß auch ein Tag des Lenzes wieder anbrechen!
In diesen glücklichen Hoffnungen wiegten sich die Seelen der Frauen fünf Tage lang ein. Da verbreitete sich zuerst durch Juden, die von Brzesc-Litewski kamen, das Gerücht, Moskau sei von den Russen in Brand gesteckt. Verstohlen murmelte man es, raunte es leise, halb gläubig einander ins Ohr; denn man wagte es nicht laut auszusprechen, um nicht die Hoffnungen der fröhlichen Menge durch einen blinden Schrecken niederzuschlagen. Wie es zu gehen pflegt, so übertrieb der eine, während der andere sicher wissen wollte, alles beschränke sich auf einige durch Zufall in Brand geratene Gebäude. Im Hotel des Ge- sandten war alles still; niemand erfuhr den Inhalt der Depeschen, die die Kuriere brachten. Doch lauter und immer wachsender wiederholten sich die düstern Gerüchte; schon wagte niemand mehr zu widersprechen. Endlich war das Unheil nicht mehr zu verhehlen. Laut gestanden es die Berichte des französischen Ministers ein, daß die Russen in ihrem rasenden Wahne selbst ihre Hauptstadt der Zerstörung geweiht hätten. Was auch gesagt wurde, um das Schreckenvolle der Nachricht zu mildern, um der Vermutung vorzubeugen, als könne dies Ereignis dem französischen Heere Gefahr oder gar Verderben bringen: die Tat erschien zu ungeheuer, zu beispiellos, wenn sie nicht den sichersten Erfolg mit sich führte. Nur um Rußland mit Gewißheit zu retten, konnte Moskau den Flammen preisgegeben werden, wie man nur, um Frankreich zu retten, die Brandfackeln in die Häuser von Paris schleudern würde. Das fühlte jeder mit nicht zu besiegender Gewißheit. Ein stummer, kalter Schrecken bemächtigte sich der Gemüter, ein Grausen schlich durch die Seele der Kühnsten. Die Zeit hatte an ungeheuere Ereignisse, an beispiellose Taten gewöhnt; diese aber reichte weit über das Maß, über die Grenzen aller Vorstellung hinaus. Man erinnerte sich, daß in der entsetzlichsten Zeit der Französischen Revolution einer jener Redner, deren Worte ein Schwert, eine Flamme, ein Blitz wurden, wenn die aufgärende Leidenschaft sie aus dem Vulkan der Brust schleuderte, um seinen Gegner zu schrecken, auf der Tribüne gerufen hatte: »Dann wird der Tag kommen, wo man an der Seine die wüste Stätte zeigt, auf welcher einst Paris stand!« Dieser Gedanke schon hatte an jenen Tagen, wo man an blutige Schreckensgespenster, an die entsetzlichen Larventänze aller Furien und Dämonen, die das menschliche Herz besitzen können, gewöhnt war, das Blut in den Adern erstarrt. Und jetzt sollte so Ungeheueres, Namenloses, Undenkbares sich verwirklicht haben? Jene Stadt, die seit Jahrtausenden allen Ruhm und Glanz und Reichtum des unermeßlichen Reichs der Zaren in ihren Burgen und Palästen sammelte; jene Stadt, wo Asiens Üppigkeit mit Europas Kunst und Betrieb sich wetteifernd verband; jene alte Hauptstadt, geheiligt als ein Sitz der väterlichen Götter, sie sollte dem Boden gleichgemacht, in eine schauerliche Aschenwüste verwandelt sein? Nur das Ungeheuere konnte dieses Ungeheuere erzeugen, nur das Entsetzliche dies Entsetzen gebären! Eine Sturmflut wogender Vermutungen drängte sich heran. Dazu kam, daß auf den Schwingen des Gerüchts selbst dieses kaum zu fassende Ereignis noch ins Riesenhafte
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