1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
dicht vor ihnen fuhr eine Reihe Wagen mit erbeuteten Fahnen bedeckt; türkische, tatarische, russische erblickte man in buntem Gemisch durcheinander. »Platz, Platz für den Kaiser!« wurde von hintenher gerufen, und Rasinski ließ seine Leute abbrechen, um die halbe Wegbreite zu gewinnen. Der Kaiser kam von weitem herangesprengt; doch plötzlich ritt er im Schritt und schien sich mit Leuten, die auf einem Wagen neben ihm befindlich waren, zu unterhalten. Der Führer desselben trieb seine Pferde an, um mit dem raschen Schritt des Rosses, auf welchem der Kaiser saß, zu wetteifern. So kam der Wagen nach und nach vor und fuhr an der Seite der polnischen Reiter vorbei, so daß diese zur Linken blieben, während Napoleon zur Rechten des Fuhrwerks ritt, auf welchem drei wohlgebildete Frauen und ein Kind saßen. Als der Kaiser sich der Stelle näherte, wo Jaromir ritt, blickte dieser nur scheu zu ihm hin; denn halb wäre er erfreut gewesen, halb hätte es ihn gepeinigt, wiedererkannt zu werden. Doch der Kaiser war im Gespräch mit einer in einen schönen Pelz dicht eingehüllten Dame begriffen, die ihrer Kleidung nach die Frau eines höhern Offiziers zu sein schien.
»Ihr müßt den Mut nicht verlieren,« sprach er; »im künftigen Winter können wir in Petersburg nachholen, was wir in Moskau versäumt haben. Glückliche Reise!« Mit diesen Worten sprengte er dahin, ohne Jaromir zu bemerken. Doch die junge Dame wandte sich jetzt zur Linken. Allmächtiger Himmel! Es war Alisette. Sie erschrak, erblaßte und richtete den Blick vor sich nieder. In Jaromirs Seele gärte es kochend auf. Zorn und Schauder wechselten wie Eis und Glut in demselben Augenblicke in seiner Brust. Doch er bezwang sich mit Gewalt; nur einen verachtenden, vernichtenden Blick warf er ihr, die verstohlen das Auge zu ihm erhob, zu und wandte dann sein Roß ab. Alisette zog den Schleier über ihr Antlitz und suchte die Glut des Zorns und der Scham, welche ihre Wange färbte, in seine dichte Hülle zu verbergen. Noch hatte niemand anders sie erkannt; jetzt wollte sie auch von niemand mehr erkannt sein. Sie nahm daher das Töchterchen ihrer Schwester, welches sie mit sich führte, auf den Schoß und beschäftigte sich mit demselben, bis Rasinski mit seinen Leuten einen Vorsprung vor dem nunmehr wieder langsamer vorrückenden Wagen gewonnen hatte. Da bald darauf neben der Straße sich ebener Boden fand, auf dem man rascher vorrücken konnte, brach Rasinski wieder zur Rechten aus und suchte die Spitze der Kolonne zu gewinnen; denn es war sein hauptsächlichstes Bestreben, die regelmäßigen Truppen zu erreichen und sich seinem Korps anzuschließen, hinter welchem er des weitern Marsches halber seit gestern abend zurückgeblieben war.
Drittes Kapitel.
Sieben Tage waren verstrichen, seit der Kaiser Moskau verlassen hatte. Das Heer stand bei Malo-Jaroslawez, welches am Tage zuvor erstürmt worden war. Man erwartete gespannt den Befehl vorzurücken und hoffte, sich noch vor Kaluga mit Kutusows ganzer Stärke zu messen. In einer kleinen, elenden Hütte, die Rasinski zur Wohnung genommen hatte, harrten Ludwig, Bernhard, Jaromir und Boleslaw auf seine Rückkehr aus dem Hauptquartier, wohin er noch am späten Abend geritten war.
Den Freunden war jetzt Jaromirs Schmerz und seine Veranlassung sowie Alisettens Anwesenheit beim Heere kein Geheimnis mehr. Oft hatten sie ihn zu trösten, zu beruhigen versucht, doch vergeblich. Tief vergiftet war der reine Born seines Lebens; die Qual zehrte in seiner Brust und drohte den Jüngling zu zerstören. Boleslaw empfand Jaromirs Schmerzen in seiner reinen, edeln Seele fast so tief als dieser selbst. Gewöhnt an den männlichen Kampf der Selbstüberwindung, hatte er den letzten, entscheidenden Sieg über sich gewonnen und dadurch war ihm, mitten in der Trauer, im ernsten Gram eine freudige Kraft in die Seele gedrungen, die stets der Lohn sittlicher Siege ist. Es war sein wahrhaftes Bestreben, Jaromir wieder mit der Geliebten zu vereinigen, das zerrissene Band neu anzuknüpfen. Streng verbarg er es, welche Flamme in seinem Herzen für Lodoiska glühe; mit reiner Freundeswärme suchte er die welken Keime der Hoffnung in der Brust des Freundes neu zu beleben, die gesunkenen Blüten seines Glücks mit dem Tau des Trostes zu erfrischen. Auch Ludwig und Bernhard nahmen reinen Anteil der Liebe an Jaromir und hatten ihm seine Schuld in milder Seele vergeben; doch beide waren noch durch ihre Erlebnisse in Moskau sowie durch die ganze
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