1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Betrachtung ihres eigenen, seltsam verschlungenen Geschicks zu tief aufgeregt, um sich ganz in die Seele des Freundes zu vertiefen. Boleslaw dagegen wurde eben durch das Band der gleichen Liebe mächtig zu Jaromir hingezogen; er trug gleiche Schmerzen mit ihm, und darum verbanden sich die Seelen beider jetzt am innigsten. Er liebte edel, uneigennützig, wie großgeartete Seelen müssen; deshalb stand nicht der eigene, sondern der fremde Schmerz in seiner erschütternden Größe zunächst vor ihm. Er gedachte der einsamen, verlassenen, durch Jaromirs Verurteilung seiner selbst ganz vernichteten Lodoiska. Weil er sie mit heiliger Glut, verschwiegen liebte, schien es ihm Beruf und Pflicht, wenn er es vermöchte, ihr Glück wiederherzustellen; denn er war fest überzeugt, daß die Liebe alles versöhnen kann, wenn sie der Reue die vergebende Hand reicht. Darum ließ er nicht ab, lindernde Worte des Trostes in des Freundes Herz zu flößen. Wie der weiche Tropfen den Felsen höhlt, so hoffte er, werde es ihm endlich gelingen, die eherne Unerbittlichkeit Jaromirs gegen seine Schuld zu besiegen, die Eisrinde, mit der er seine gequälte Brust selbstpeinigend umgeben hatte, zu schmelzen. Ach, das Herz des Unglücklichen mußte ja erstarren in dieser selbstgeschaffenen Qual; hätte es sich aus warmen Wunden verbluten dürfen, es wäre noch glücklich zu nennen gewesen. Aber dieses kalte Gift, das er tödlich in sich trug, warf die Seele auf eine namenlose Folter, die der Freund mit dem Gequälten empfand.
Boleslaw trat mit Jaromir hinaus vor die Hütte, die auf einer kleinen Anhöhe lag. Man überblickte in dem trüben Licht des schon sinkenden Mondes ein weites, ebenes Feld, mit lagernden Kriegern und zahllosem Feldgerät bedeckt; die Louja umschloß diese Ebene mit ihrem gekrümmten Strom. Hinter derselben erhoben sich steile, mit düsterer Tannenwaldung gekrönte Anhöhen. In jenen Wäldern stand Kutusow in fester, unangreifbarer Stellung. Vor den z Höhen lagen die rauchenden Trümmer von Malo-Jaroslawez, das gestern der Schauplatz eines furchtbaren Kampfes gewesen war, der jedoch nur das Vorspiel zu einer größern Schlacht zu sein schien. »O daß wir an dem Kampfe dort nicht Anteil haben konnten,« seufzte Jaromir, »es liegen dort so viele, die die Sonne heute so gern wieder begrüßt hätten!«
Boleslaw verstand den Freund. »Ist das nun wohl recht und gut, Jaromir?« sprach er sanft, aber ernst. »Gedenkst du derer nicht mehr, die in bittern Tränen um dich weinen würden?«
»Hast du dir nie den rühmlichen Tod auf dem Schlachtfelde gewünscht?« rief Jaromir heftig. Boleslaw schwieg einen Augenblick; er fühlte sich getroffen, denn in seinem düstern, verschwiegenen Gram hatte er freilich diesen Wunsch in der Brust gefühlt. Doch war es einer, wie so viele, die nur in der Ferne aufsteigen, die eine heilige Scheu vor dem Unrecht uns nicht mit vollem Ernst fassen läßt. »Ich habe ihn oft in mir bezwungen,« erwiderte er; »und das fordere ich von dir.«
»O, Boleslaw,« seufzte Jaromir, »du konntest das wohl leichter als ich!« Diese Worte drangen in Boleslaws innerste Seele; ein unnennbarer Schmerz zuckte ihm durch die Brust. Er durfte nicht darauf antworten, ohne sich zu verraten. »Und wenn du auch recht hättest, Jaromir; es ändert nichts für dich. Sei ein Mann, wolle leben und handeln; nicht die Buße, die Tat versöhnt.« – »Beides«, sprach Jaromir finster. – »Wenn jetzt Lodoiska vor dich träte und, sanft wie sie ist, spräche: Ich habe dir vergeben, denn die Liebe vergibt tausend- und tausendmal! – aber komme wieder an mein Herz, zertritt nicht alle Blüten meines Glücks!« Jaromir sah ihn starr an, ein Schauer schüttelte ihn; plötzlich rief er in wildem Schmerz und Hohn zugleich: »Sonne, leuchte mild wie der Mond, Strom, fließe das Gebirge hinan, Pfeil, wende dich im Fluge, Minute, kehre zurück aus dem endlichen Raum der Vergangenheit! O, Boleslaw! Fühlst du denn nicht, daß du das Unmögliche denkst? Habe ich denn die Blüten ihres Glücks nicht zertreten? Ist denn die Tat nicht geschehen? Die Reine, Schuldlose, Heilige klagte ich des Verbrechens an, das ich selbst in derselben Minute beging! Meine Treulosigkeit könnte sie verzeihen; aber nie darf sie vergeben, daß ich den Glauben an sie verlor – nie darf ich diese Vergebung annehmen.«
»O, ihr dürft es beide, glaube das mir, mir –!« – »Du hast nicht geliebt, Boleslaw!« rief Jaromir. »Du weißt nicht, wie schwer die
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