1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Trümmern Moskaus umher und halten die Nachlese der Beute. Mortier ist nach Werreja aufgebrochen; er hat den General Wintzingerode gefangen genommen. Das die neuesten Nachrichten von dort; die neuesten von hier, daß wir in einer Stunde gleichfalls aufbrechen, um uns nach Smolensk zu ziehen.« – »Unmöglich!« rief Jaromir. – »Bis Mitternacht ist Kriegsrat gehalten worden; der Rückzug wurde beschlossen. Es ging stürmisch zu. Der König von Neapel wollte Kutusow angreifen. Bessières, der seine Stellung rekognosziert hat, erklärte sie für unangreifbar. Der Kaiser sprach: «Wir haben genug für den Ruhm getan, es ist an der Zeit, auch für die Sicherheit etwas zu tun.» Davoust wollte, daß wir uns wenigstens auf Platow und seine Kosaken werfen und uns den Weg nach Medyn bahnen sollten. Der Kaiser entschied für den Rückzug über Mosaisk. Wir werden also die traurige Straße zurückmessen, die wir vor zwei Monaten durchwanderten.«
»Der Kaiser auf dem Rückzüge!« rief Jaromir und blickte Rasinski staunend an, als könne er es noch nicht glauben. – »Und so wäre der blutige Sieg von gestern also ein vergeblicher gewesen?« fragte Boleslaw und bewegte ernst das Haupt. – »Er wird den Taten des Kaisers wenigstens einen ewig denkwürdigen Grenzstein gesetzt haben«, entgegnete Rasinski. »Ich habe das Schlachtfeld gesehen. Es sieht grauenvoll aus! Blutende, Verstümmelte winden sich noch jetzt unter den rauchenden Trümmern hervor. In Rußland gibt es keinen Sieg, über den die Menschheit nicht schaudert. Hier ist die Flamme stets der wutbegierige Kampfgenoß des Schwertes! So führte der Szythe Krieg, der vor Jahrtausenden diese Steppen durchstreifte. Doch welche Taten sind hier wieder geschehen! Der mutige Delzons greift an der Spitze seiner Krieger an; eine Kugel streckt ihn nieder. Der Soldat, der seinen Führer fallen sieht, stutzt, schwankt, weicht; die Russen dringen vor. Delzons' Bruder wirft sich allein in die Dampfwolke der feindlichen Feuerschlünde, um wenigstens den Leichnam zu retten. Er umfaßt ihn mit seinen Armen, hebt ihn empor; da trifft auch ihn eine mörderische Kugel, er sinkt mit der teuersten Last zu Boden, und der letzte Schlag seines Herzens klopft gegen die erkaltete Brust des Bruders. Die italienischen Rekruten haben zum erstenmal gefochten wie junge Löwen, die die erste Beute jagen. Keine Nation ist tapfer; alle sind es, von Tapfern geführt!«
»Und der Kühnste führt uns jetzt zum Rückzuge!« rief Jaromir unwillig. – »Wer weiß, ob nicht eben dazu der Kühnste notwendig ist«, antwortete Rasinski ernst. »Zum Ruhm, zum Siege ließen sich die Völker leicht vom Ebro bis zur Moskwa führen, ohne daß die Flamme ihres Mutes erlosch. Wird die Glut aber nicht erkalten, wenn nur noch der Ruhm des heldenmütig ausdauernden Märtyrers zu erwerben ist? Wird sie Nahrung genug haben für die unermeßliche Zeit- und Wegstrecke? Wird sie lebendig bleiben unter dem Schnee des Winters, der bald diese Fluren einhüllt, auf den Eisfeldern, die uns zum Lager dienen werden? Jetzt fordere ich euch auf, ihr, die ihr Männer seid, die mit Bewußtsein handeln, jetzt fordere ich euch auf, mit stolz aufgerichtetem Haupte und mutiger Stirn euern Kameraden voranzugehen! Denn, wie schwer die Aufgabe war, die wir vollendeten, die schwerere beginnt von diesem Tage an!« Er sprach mit hohem Ernst; man hörte jedem Worte an, daß seine Befürchtungen ihren Grund in seiner innersten Überzeugung hatten. Mit Besorgnis richteten sich daher die Blicke auf die Zukunft. Ludwig warf die seinigen noch weiter hinaus als Rasinski, denn er fragte sich: Und was soll endlich aus dir und Bernhard werden? Wenn wir gar den heimatlichen Boden wieder beträten, was würde unser Schicksal sein?
Rasinski hatte ihm gleich nach der Schlacht von Mosaisk gesagt, jetzt sei der günstige Augenblick gekommen, wo er etwas Gewisses in seiner und Bernhards Angelegenheit tun zu können hoffe. Nach einem Siege sei der Kaiser zu großmütigen Beschlüssen am geneigtesten; das Regiment habe seine Anerkennung erworben, und man dürfe daher, ohne etwas zu gefährden, das seltsame Verhältnis in Anregung bringen, das Ludwig und Bernhard in die Reihen der tapfern Polen geführt habe. Indessen seitdem hatte Rasinski nicht wieder von diesem Gegenstande gesprochen, ja, wie es schien, jede Erinnerung daran vermieden. Ludwig, der ihm zutrauen durfte, daß er von freien Stücken alles tun werde, was man nur von einem solchen Freunde
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