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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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überschaute.
    »Das wird er nicht,« entgegnete Rasinski; »denn er mag dem Soldaten, der zwei Dritteile Europas mühselig durchwanderte, den Lohn der vielfach versprochenen Beute nicht entziehen. Doch glaube mir, noch ehe der Tag vorüber ist, werden die Unserigen selbst ihren Ballast auszuwerfen anfangen. Sieh nur jene beiden Leute dort! Es scheinen mir Offiziersbediente zu sein. Haben sie sich nicht selbst vor eine Handschleife gespannt und ziehen die Last mühselig nach? Nicht sechs Stunden weit reichen ihre Kräfte; aber von der Habsucht geblendet, vergessen sie, daß der Weg zwischen hier und Paris achthundert Lieues lang ist! Und diese Massen von hochbelasteten Wagen, wo sollen sie Raum und Zeit finden, sich aufzustellen? Wie lange werden die Achsen halten? Und wenn eine bricht, wer schafft eine andere herbei? Kaum die Artillerie vermag es. Der Kaiser sieht diesen Troß mit Mißbehagen; allein er überläßt es der Zeit, die Habgierigen über die Unmöglichkeit ihrer Unternehmung zu belehren. Dort fällt ein Wagen! Siehst du? Gib acht, der läßt auf dieser Stelle, eine halbe Stunde von Moskau, schon alles zurück, was er vielleicht bis nach Paris zu führen gedachte.« –
    Der Wagen, den Rasinski stürzen sah, war mit erbeuteten Geräten überladen gewesen; es brach eine Achse und er lag nun im Wege. Sogleich stopfte sich der ganze Zug; die Nachdrängenden schrien unwillig: »Vorwärts!« denn jeder ahnte, daß man in diesem Getümmel alle Kräfte aufbieten müsse, um vorzudringen. Die Masse hinderte sich selbst in der Bewegung; der einzelne war daher froh, wenn ein Zufall die Zahl der Wagen verminderte. Als dem umgestürzten Fuhrwerk nicht sogleich aufgeholfen werden konnte und auch zum Ausbeugen kein Raum blieb, rief einer der nachfolgenden Wagenführer: »Werft das Gerümpel aus dem Wege! Hier muß jeder sehen, wie er fortkommt. Wir können nicht einen halben Tag auf den einen warten. Faßt an, Kameraden, spannt die Pferde aus und werft den ganzen Plunder ins Feld!« Sogleich fanden sich zwanzig, dreißig, fünfzig Leute, um der Aufforderung zu folgen. Vergeblich tobte und fluchte der Eigentümer des Wagens und suchte seine Beute zu verteidigen. In zwei Minuten war er von allen Seiten umringt und der Wagen nicht nur von allem geplündert, was er enthielt, sondern die Pferde ausgespannt, die Räder abgezogen und das Gestell in seine Teile zerstückt über Seite geworfen, so daß die Bahn für die Nachfolgenden frei wurde. Die heulende Wut, in die der Beraubte ausbrach, wurde durch das Hohngelächter der übrigen übertäubt; niemand bekümmerte sich um den ganzen Vorfall, noch hielt man es der Mühe wert, den gewaltsam Geplünderten in Schutz zu nehmen, der zuletzt froh sein mußte, seine Pferde gerettet zu haben.
    »Wenn das am ersten Tage des Ausmarsches, vor den Toren Moskaus, geschieht,« bemerkte Rasinski, »was läßt sich erwarten, wenn erst der Feind die schwerfälligen Massen bedroht! Jener Marodeur hat nichts gerettet als seine beiden abgemagerten Pferde. Die andern dürfen froh sein, wenn ihnen nur das gelingt beim ersten Scheinangriff, den fünfzig Kosaken wagen! Der Kerl, der jetzt heult und flucht, ist der Glücklichste von allen; denn er ist die nutzlose Plackerei zuerst losgeworden. Er wird schon heute hinlängliche Gelegenheit finden, sich an der Schadenfreude über andere, vielleicht über eben die, die ihm das Unrecht zufügten, zu entschädigen. Und ehe acht Tage vergehen, sage ich dir, preist er sein Schicksal, welches ihm die vergebliche Mühe, seine Bürde fortzuschleppen, abgenommen hat. Der Unterschied ist nur der: er verliert heute, was die andern morgen und übermorgen preisgeben müssen; zum Genuß der Beute wird von Tausenden nicht einer kommen.«
    Boleslaw mit den Reitern hatte jetzt den Hügel erreicht; er gewann Terrain, um sie in Sektionen aufmarschieren zu lassen, und rückte so auf den Punkt zu, wo Rasinski hielt. Dieser setzte sich an die Spitze der Seinigen und ritt, die Freunde dicht um ihn, weiter neben der Straße hin. Der Weg auf der Anhöhe, den sie nahmen, gestattete ihnen fortwährend den Überblick des ganzen Zuges. »Es ist mir lieb,« sprach Bernhard, »daß wir fast die letzten sind. Denn ich glaube nicht, daß die vorn marschierenden Regimenter sich einen Begriff davon machen, welch einen Drachenschweif sie nachschleppen; und der Anblick ist doch lustig genug. Der Hexenzug auf dem Blocksberge kann nicht abenteuerlicher aussehen als die Maskerade hier unter

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