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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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stets euere besondere Lage im Auge behalte und nicht einmal eine Dienstpflicht für euch anerkennen würde, wenn ihr sie nicht selbst freiwillig übernähmt, oder wenn sich die Ausnahmen immer so treffen ließen, daß nicht das Auffallende derselben zu sehr in die Augen spränge? Denn allein, auf eigene Hand die ungeheuere Rückreise anzutreten, das wäre jetzt gar nicht zu wagen. Ihr wißt, wie das Land gesinnt ist, welchen Gefahren der einzelne sich preisgibt. Könntet ihr vergessen, wie viele, die, einzeln überrascht, in die Gewalt der fanatischen Muschiks gerieten, unter den fürchterlichsten Martern hingeopfert wurden? Und auch die Gefahr beiseite gesetzt, wo fändet ihr die Mittel, auf einer solchen Reise zu bestehen? Kaum die vereinigte Gewalt vieler schafft sich die notwendigsten Lebensbedürfnisse; der einzelne vollends vermag nichts. Auf dem verwüsteten Wege, den wir hierher nahmen, wo wir statt der Dörfer und Städte nur die Aschenhaufen finden werden, die ihre ehemalige Lage bezeichnen – wie wolltet ihr da Unterkommen, Lebensmittel, Pferde finden, wenn die eurigen, abgezehrt von Arbeit und schlechter Nahrung, wie sie sind, unbrauchbar würden oder fielen? Ich habe weder die Lust noch den Mut verloren, euch mit voller Freundespflicht zu dienen; aber sprecht selbst, wißt ihr jetzt ein sicheres Auskunftsmittel? Meine eigene Verantwortlichkeit ist es, die ich zuletzt scheuen würde. Gebt ihr einen guten, ausführbaren Rat, ich befolge ihn; ihr selbst, Boleslaw und Jaromir, müßt entscheiden, was zu tun ist.«
    Die Freunde blickten einander an; sie suchten vergeblich eine Widerlegung für Rasinskis Gründe, und doch wurde Ludwigs Seele tief bedrückt von dem Gefühl dieser drohenden Zukunft, in die er seine Freunde und seine hilflose Schwester verwickelt sah. »Und wären wir jeder siebenmal so weise als die sieben Weisen Griechenlands zusammengenommen,« unterbrach endlich Bernhard die eingetretene Stille, »wir würden keinen bessern Rat aushecken. Rasinskis Rat ist so klar wie der Himmel draußen, dessen Sterne uns recht günstig zum Rückzuge zu leuchten scheinen. Tröste dich, Freund Ludwig; uns umschweben nicht mehr Todesgefahren als andere auch; beim Lichte besehen hält unser Lebensfaden vielleicht noch zu lange und spinnt sich langsamer oder trauriger ab, als wir glauben. Die Schere der Parze kneipt oft auf und zu in der Minute, und wird manchem das vorsichtig gesponnene Garn früher abschneiden als das freilich hinlänglich dünne Haar, an dem uns der Hieber des Damokles über dem Genick hängt. Soviel aber weiß ich, daß, bleiben wir hier, wir unter guten Freunden leben oder sterben, worauf es meines Erachtens mehr ankommt, als ob wir etwas mehr Wahrscheinlichkeit für die Apotheke und dagegen etwas weniger für den Sandhaufen aufweisen können. Mach du dir keine Sorge deshalb, Rasinski, du hast größeres Verdienst um uns, als wir dir vergelten werden. Denn der dankbarste Mensch bleibt ein undankbarer Esel, zumal ich. – Gebt die Hände, Freunde, wir wollen froh sein, wenn uns morgen noch die Sonne bescheint und der Wald einige fahlgrüne Blätter unter den gelben und roten zeigt, die der Wind als perennierenden Herbstblütenregen herabschüttelt. Mir deucht, die Welt ist noch ganz hübsch, und wer sie noch eine Weile ansehen darf, kann von Glück sagen, gegen die Sechstausend, die da drüben mit verbrannten Knochen in der Asche und dem Schutt von Malo-Jaroslawez liegen.« Damit schüttelte der wackere, kräftige Freund Rasinski und Ludwig die Hand und reichte sie dann auch Jaromir und Boleslaw hinüber. Sein trotzig fröhliches Wesen, womit er die härtesten Schläge des Schicksals verspottete, gab oft seiner ganzen Umgebung ein Gefühl dieser kecken Selbständigkeit, die sich unter kein Joch des Lebens beugt.
    Eine Ordonnanz trat ein; sie brachte den Befehl zum Aufbruch, den Rasinski erwartete. »Um drei Uhr!« sprach er. »Also still, in der tiefnächtlichen Stunde!« Er ging zweimal mit untergeschlagenen Armen und zur Erde gehefteten Blicken in dem engen Gemach auf und nieder. »Laßt jetzt aufzäumen! Es wird bald Zeit sein!«
    Jaromir und Boleslaw gingen, das Nötige bei ihren Leuten anzuordnen, Ludwig und Bernhard hatten wenigstens für sich selbst Vorbereitungen zu treffen. So trennten sich die Freunde. Allein kaum war eine halbe Stunde vergangen, so fanden sie sich wieder beisammen, doch zu Pferde und auf dem Rückmarsche. Auf Rasinskis Stirn lagen düstere Wolken; er sprach

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