1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
gigantischen Altäre am Ganges, das Schlachtfeld von Kannä, die rauchenden Trümmer an jenen Fichtenhöhen – sie sind gleichbedeutende Hieroglyphen, und noch nach Jahrtausenden wird der Wanderer sie mit schauernder Verehrung lesen.«
Diese Gedanken wogten in Rasinskis heldenverwandter Seele! Er fühlte mit unabweisbarer Ahnung, daß ein schweres, düsteres Unheil hereinbrach! Doch mit dieser klaren Entscheidung kehrte seine volle Manneskraft zurück und er richtete Brust und Haupt stolz gegen das Verhängnis auf. Noch einen Blick warf er über das düstere nächtliche Gefilde, wo die Geschichte die neuen Säulen des Herkules aufzupflanzen beschlossen hatte; dann wandte er sein Roß und kehrte mit befestigtem Mute zu den Seinigen zurück.
Viertes Kapitel.
»Der Nachtwind war rauh! Und welch ein dichter Nebel wieder auf der Erde liegt!« rief Bernhard und schüttelte sich. »Ich bin durch und durch so kalt wie eine Amphibie.« Mit diesen Worten sprang er von seinem Lager an dem fast erloschenen Feuer auf und schlug die Arme übereinander, sich zu erwärmen. »Ich glaube wohl, daß wir frieren mußten, wenn hier nichts mehr brennt und glüht als die drei verkohlten Klötze in der Asche! He, Ludwig! Rüttle dich auf; hörst du nicht den Trompeter?« Ludwig schlug, da der Freund ihn anfaßte, die Augen groß auf und blickte ihn fremd an. »Nun? Kennst du mich nicht?« fragte ihn Bernhard. »Du siehst ja aus, als wärest du aus einer andern Welt auf diese heruntergefallen!« – »Es ist auch fast so«, erwiderte Ludwig, der aus dem tiefen starren Schlaf, in den ihn, trotz der rauhen Nacht, die Übermüdung versenkt hatte, wieder zum Bewußtsein zu kommen begann. »In meinen Träumen sah ich andere Bilder als diese um mich her.« – »Mir hat von Mondkälbern, Klapperschlangen, Krokodilen, Kosaken, Hexen und Alraunen geträumt«, antwortete Bernhard. »Da war ich froh, daß der rauhe Wind mich wach schüttelte! Teufel, das ist eine Nacht gewesen! Der feuchte Nebel dringt einem ja bis in das Mark der Knochen hinein und macht es wässerig. Wenn wir nur erst wieder zu Pferde sitzen, wird uns schon besser werden.«
Ludwig hatte sich indessen aufgerafft und suchte gleichfalls die starr gewordenen Glieder durch starke Bewegung zu erwärmen. »Wo ist Rasinski?« fragte er.
»Er muß mit den andern schon längst auf sein. Ich erwachte erst durch den Trompetenstoß und von der Kälte an meiner linken Seite, wo Jaromir gelegen hat. Es ärgert mich eigentlich; aber sie sind doch des Soldatenlebens gewohnter als wir und tragen die Strapazen leichter. Willst du dich waschen? Hier ist noch Wasser im Kochgeschirr; du siehst etwas schwarz von Rauch aus, guter Freund. Frisch hinein mit dem Gesicht; es ist kalt, aber es erquickt. Übrigens brauchst du dir, um frisches Wasser zu haben, nur die Locken auszudrücken; sie hängen voll Nebeltropfen.«
Die beiden Freunde machten ihre Biwaks-Morgentoilette, so gut die Umstände es zuließen, und begaben sich dann zu ihren Pferden, wo schon die meisten ihrer Kameraden sich befanden und sie zum Marsch aufzäumten. Bald saßen sie auf und der Zug ging vorwärts. Es dämmerte noch kaum, und doch waren sie erst um Mitternacht zur Ruhe gekommen; denn die Märsche wurden, weil man täglich das Nachrücken der russischen Heere befürchtete, mit größter Eile und Anstrengung gemacht.
Man ritt, als es Tag wurde und der Nebel zu fallen anfing, in eine Senkung des Tales hinunter. Rasinski deutete mit dem Finger auf einige noch halb in Nebel, halb in Rauch gehüllte Giebel. »Das ist Mosaisk,« sprach er; »jetzt sind wir wieder auf unserm alten Wege. Wenn wir doch hierher mußten, wäre es besser gewesen, wir hätten gleich von Moskau diese Straße genommen. So haben wir acht volle Tage verloren! Nahe an Smolensk könnten wir schon sein.«– »Reiten wir durch das Nest?« fragte Bernhard. – »Nein,« erwiderte Rasinski; »wir nehmen unsern Weg hier links durch den Bach, denn dort unten stopft sich wieder alles. Es ist ein großer Vorteil für uns, daß wir in unserm Marsch nicht so bestimmten Befehlen folgen dürfen als die übrigen. Aber leider fängt schon jeder an, nur seine eigenen Vorteile wahrzunehmen; es wäre besser, man hielte strengere Ordnung. Doch ich fürchte, es wird nicht lange mehr möglich sein. Seht ihr, wie dort drüben die Artillerie schon die Anhöhe hinaufmarschiert? Die Kanonen bleiben fast stecken in den tiefen Wegen und haben doch schon die doppelte Zahl von Pferden
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