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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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ich nahm mit meinen Leuten einen Seitenweg.« – »Ihr habt nichts verloren! Das ganze Nest ist noch ein Lazarett. Dreitausend Verwundete liegen darin und werden wohl liegen bleiben. Mich schaudert, wenn ich an den Anblick denke. Seit sieben Wochen fristen sie ihr Leben unter Jammer und Qual! Sie sind halb verhungert, halb erfroren, denn die meisten liegen auf faulem Stroh, oft ohne Decken! Kaum daß man ihnen den alten Mantel gelassen hat. Ihre Wunden sind mit Werg gestopft, zumeist brandig und fressen am Knochen.«
    »Sprecht leiser,« sprach Rasinski, »solche Schilderungen entmutigen die Leute.«
    »Was braucht's der Schilderung? Sie haben das Elend selbst gesehen! Als wir durchmarschierten, streckten die, die sich noch rühren konnten, uns die Hände flehend aus den Fenstern entgegen und riefen: «Nehmt uns mit, laßt uns nicht hier umkommen!» Denn das Gerücht, daß wir zurückmarschieren, hatte sich wie ein Lauffeuer unter sie verbreitet. Bisher fristeten sie sich doch mit der Hoffnung in ihrem Elende; jetzt kommt die Verzweiflung zu dem Jammer. Sie heulten und wehklagten laut; einige verfluchten Himmel und Erde! Ein Dragoner – ich erkannte ihn am Mantel – dem beide Füße abgenommen waren, hatte sich mit den schlecht verbundenen Stumpfen bis an die Schwelle der Hütte, in der er lag, geschleppt, und das blasse Jammerbild winselte mir mit aufgehobenen Händen entgegen. Da kam der Kaiser vorbei; der Elende rief: «Sire, ich habe in Ägypten gedient, laß mich nicht hier verschmachten! Nach Frankreich, nach Frankreich – mein alter Vater!» Da versagte ihm die Stimme; der Kaiser befahl, ihn auf seinen eigenen Wagen zu legen und Sorge für ihn zu tragen. Ich selbst griff mit an, um ihn aufzuheben-, aber noch ehe wir ihn hinausschaffen konnten, hatte er schon den letzten Atemzug ausgehaucht« – »Wohl ihm!« – »Freilich! Doch denkt euch den Jammer und die Angst der Zurückbleibenden, wenn ein Sterbender, Elender diese Zukunft so gräßlich sieht, daß die Hoffnung, ihr zu entfliehen, ihm noch im letzten Augenblicke solche Kräfte leiht!«
    »Und müssen sie denn zurückbleiben?« fragte Rasinski mit innerm Schauder. – »Könnt ihr sie fortschaffen, und können sie den Marsch aushalten ? Der Kaiser hat befohlen, daß jeder Bagage- oder Vorratswagen einen Mann aufnehmen soll; die, welche noch zu retten sind, will man zu retten versuchen. Die andern bleiben der Großmut des Feindes überlassen.« – »Großmut!« rief Rasinski bitter. – »Sie können von Glück sagen,« fuhr Regnard fort, indem er sich das Tuch über dem entzündeten Auge zurecht legte, »wenn sie dem Feinde nur bald in die Hände fallen. Bleibt er lange aus, so verhungert und verschmachtet, was zurückbleibt, auf die elendeste Weise; denn es sind ja lauter Leute, die sich nicht vom Lager rühren können. Aber was das wieder für ein Nebel ist!«
    In der Tat hatten sich die Dünste wieder feucht und kalt rings auf den Feldern gelagert, so daß man kaum hundert Schritte vor sich sehen konnte. Mit jedem Augenblicke schienen sie sich zu verdichten; bald war der Gesichtskreis auf die allernächsten Gegenstände beschränkt. »Einen solchen Nebel habe ich kaum noch erlebt,« sprach Bernhard, »selbst in Schottland nicht; man sieht ja das zweite Kanon nicht mehr deutlich. Er kann aber nicht hoch sein, denn die Sonne über uns läßt sich doch noch als ein hellroter Mond erkennen.« Ein kalter Windstoß fuhr durch die in Kreisen langsam wirbelnden Dunstgebilde und jagte sie in grauen, langgedehnten Streifen über Feld. »Der Wind hat sich auch wieder gedreht; er ist Nordwest geworden«, sprach Ludwig, der aufmerksam den Zug des Nebels verfolgte. Die Reiter hüllten sich dichter in ihre Mäntel und ritten stumm nebeneinander hin, vorn Rasinski mit Regnard, dicht hinter ihnen Jaromir, Boleslaw, Ludwig, Bernhard.
    Es war ein seltsam schauerlicher Augenblick; tiefes Schweigen ringsumher; nur das dumpfe Gerassel der Kanonen war entfernter zu hören, da der Nebel den Schall dämpfte und die Reiter gegen hundert Schritte auf der Seite des Weges ritten, um die Pferde nicht so tief in den ausgefahrenen Morast treten zu lassen. Einige kleine Unebenheiten des Bodens hatten Ludwig zufällig um kaum zwanzig bis dreißig Schritte rechts von den Freunden abgeführt. Plötzlich stolperte sein Pferd; er riß es am Zügel auf und beugte sich über, um den Gegenstand, über den es gefallen war, und den er, achtlos vor sich hinreitend, zuvor nicht wahrgenommen

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