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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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vermöge er diesen Toten zu gebieten, sich aufzurichten und aufs neue die Waffen zu ergreifen.« – »Er ist ein Held im größten Sinne des Worts,« sprach Ludwig; »denn mit der mächtig beherrschenden Kraft vereint er die großmütige Milde, die ihm jedes Herz unterwirft. Er darf alles fordern und bittet um alles!« – »So ist's!« rief Jaromir lebhaft; es war seine erste rasche, jugendliche Aufwallung seit jenem Unglückstage. – »O, ihr solltet ihn in bessern Zeiten gekannt haben,« sprach Boleslaw; »aber schon seit wir Deutschland verließen, ist er nicht mehr, der er war. Er muß tiefen Gram in der Brust tragen, oder das Unheil, das er jetzt fürchtet, geahnt haben.« So hatte das männliche Emporrichten Rasinskis plötzlich die schaudervollen Eindrücke des Schlachtfeldes verscheucht und erhebendern Empfindungen Raum gegeben.
    Regnard hatte sich zu Rasinski gesellt; beide erwarteten jetzt die übrigen. Um den Kolonnen wieder nachzukommen, setzten sie ihren Weg in beschleunigtem Schritte fort. Noch immer ging es über Leichen und Trümmer dahin. Ein tiefer Hohlweg kreuzte jetzt das Feld; derselbe, in dem sie damals am Abend nach der Schlacht auf den Lagerplatz zurückritten und den sie am nächsten Tage voll derjenigen fanden, die verwundet und verschmachtend hier Schutz gegen die rauhesten Angriffe des Nachtfrostes gesucht hatten. Auch hier lagen Gerippe und Leichname von Pferden und Menschen.
    Plötzlich traf ein wimmernder Laut ihr Ohr. Alle stutzten und horchten auf; ein Grausen drang bei dem Gedanken in ihre Brust, daß noch ein vereineinzeltes, Leben unter der allgemeinen Verwesung verborgen sein könnte. Man sah sich rings um, doch ohne zu entdecken, woher die wehklagende Stimme kam. »Es muß dort aus der einspringenden Höhlung hinter uns sein!« rief Rasinski, warf das Pferd rasch herum und sprengte ebenso schnell in eine kleine, mit welkem Buschwerk halb verwachsene Schlucht, an deren Mündung die Reiter soeben vorübergekommen waren. »Heiliger Gott!« ertönte gleich darauf sein Ruf, indem er sich mit äußerster Hast vom Pferde warf. Die andern erkannten die Ursache nicht sogleich; doch Lippen und Wangen erbleichten ihnen, als sie jetzt einen Menschen in dem Bauche eines aufgeschlitzten Pferdes entdeckten, der aus dem grausen Lager seine Hände hilfeflehend dem herbeieilenden Rasinski entgegenstreckte. »Blendwerk der Hölle!« rief dieser und drückte sich beide Hände vors Gesicht – »es ist Petrowski!« Vom Entsetzen wie zermalmt bebten Ludwig, Bernhard, Boleslaw und Jaromir zusammen, als sie dieses Wort hörten und jetzt den unglückseligen Greis erkannten. Jaromir war der erste vom Pferde, um Rasinski bei dem Werke der Rettung Hilfe zu leisten. Dieser stand vor dem Elenden und hielt beide Hände desselben krampfhaft in den seinigen; er hatte das Gesicht von dem Sterbenden abwärts zu Jaromir gewendet. In seinen Zügen war eine krampfhafte Gewalt zu erkennen, den ungeheuern Schmerz nicht Herr über sich werden zu lassen; doch er mußte unterliegen. Tropfen des Angstschweißes standen auf der Stirn des Helden, große Tränen rollten über seine Wangen; er vermochte kein Wort zu sprechen. Die entsetzenvolle Plötzlichkeit dieser Begegnis hatte selbst ihm die Fassung geraubt.
    »Du noch unter den Lebenden, alter, treuer Kamerad?« rief er endlich und lüftete dadurch die bedrängte Brust – »und ich suchte dich vergeblich unter den Toten!«
    Der Greis, von Elend und Jammer abgezehrt, hatte doch noch eine Träne bei dieser letzten Freude. »Gott im Himmel! – Dank! –« waren die einzigen Worte, die er mit brechender Stimme zu stammeln vermochte. Die Angst seiner Qual hatte ihm noch die Kraft zum Hilferuf gelassen; die namenlose Freude raubte ihm jetzt Sprache und Besinnung. »Gott, Gott, bist du denn allwissend!« rief Rasinski. »Im schauderhaften Arme der Verwesung und des Todes lag dieser Lebende; seine Speise, was der hungerige Wolf, was der krächzende Rabe verschmäht; jeder Augenblick eine Hölle – und fünfzigmal ging deine Sonne überhin und sah den Jammer, und du sandtest ihm keine Rettung!«
    Jaromir, Bernhard, Ludwig und Boleslaw waren herangeeilt und wollten den Versuch machen, den Unglücklichen aus seiner pestaushauchenden Lagerstatt emporzuheben. Doch schon starrte sein in die Höhle zurückgesunkenes Auge sie gebrochen und bewußtlos an; ein Lächeln schwebte über die vom unbegrenzten Elende tief eingefurchten Züge, er atmete noch einmal auf – dann sank ihm

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