1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
das Haupt auf die Brust, und die Seele war entflohen. Rasinski ließ die Hände des Toten nicht los; sein tränendunkler Blick heftete sich auf die erblaßten Züge, die selbst im Kampf der Qual und des Todes den kriegerischen Adel bewahrt hatten. »Seht diese schöne Stirn voll Narben, geschmückt mit silberner Locke? O, das war ein treues Soldatenherz! Und so fürchterlich zu enden!«
»Nein, er endete schön,« sprach Ludwig, dessen Seele sich mächtig zu dem Allgütigen erhob, der dem Gefolterten in der Stunde des Todes die liebsten Freunde wie durch ein Wunder in seine grauenvolle Einsamkeit sandte; »er starb schön! Sieh nur, wie seine Züge sich verklärt haben!«
Jaromir schwang sich plötzlich zu Pferde und sprengte rasch den Weg, den sie gekommen waren, zurück; man wußte nicht, was er beabsichtigte. »Wartet hier zwei Minuten,« rief er, »ich bin gleich zurück.« Still umstanden die Freunde den Gestorbenen. »Gebt mir eine Schere,« bat Rasinski, »ich will mir eine Locke zum Angedenken von seinem Haupte mitnehmen.« Bernhard reichte ihm aus seiner Brieftasche, was er verlangte. »Gönnst du mir zehn Minuten,« sprach er, »so zeichne ich den Kopf hier in meine Schreibtafel. Diese Züge fehle ich nicht.« – »Das Blatt soll mir heilig sein«, antwortete Rasinski und dankte dem Freunde durch einen Händedruck.
Während Bernhard zeichnete, kehrte Jaromir zurück. Er hatte zwei Spaten quer über dem Sattelknopf liegen. »Wir müssen unsern Kameraden begraben!« rief er von weitem; »es ist Gottes Geheiß, der uns in seiner Todesstunde zu ihm geschickt hat.« – »Woher hast du die Spaten?« fragte Rasinski verwundert; »gewiß hätte ich gleich an ein Begräbnis gedacht, wenn ich die Möglichkeit gesehen hätte, es zu veranstalten. Du bringst meiner Seele den schönsten Trost!« – »Ein Zufall ließ mich die Werkzeuge entdecken. Vorhin, als wir von der Redoute herunterkamen, sah ich in einer Vertiefung zwei zerschmetterte russische Lafetten liegen, an denen ich noch Haue und Spaten bemerkte. Das fiel mir jetzt ein, und da ich mir den Ort gemerkt hatte, eilte ich sie zu holen.«
»Gib her«, rief Rasinski und ergriff den einen Spaten. »Hier unter der jungen Fichte, die vielleicht einst ein Greis unter den Bäumen wird, wie der Tote einer unter den Helden, laßt uns ihn begraben!« Zugleich stach er selbst die erste Schaufel aus; Jaromir arbeitete rüstig mit. Eine Erdspalte, die nur etwas erweitert werden durfte, sollte das letzte Lager des alten Kriegers werden. Boleslaw und Ludwig hielten des Toten Haupt leicht empor, damit Bernhard zeichnen konnte. Eine Viertelstunde wurde diesem heiligen Liebesdienst gewidmet. Regnard blieb stummer, erschütterter Zeuge; er hielt es für eine Ehrenpflicht, dem Begräbnis eines so ergrauten Kameraden seine Gegenwart nicht zu verweigern.
»Ich bin fertig,« sprach Bernhard und reichte Rasinski das mit charakteristischen, festen Strichen entworfene Bild des Toten dar. »Wir sind es auch!« sprach dieser und nahm das Blatt. »Vortrefflich!« rief er, indem er es betrachtete. »Es ist ganz der alte, treue Kamerad; es ist seine ehrwürdige Stirn, seine mild im Tode lächelnde Lippe. Ich danke dir ein Kleinod, Bernhard!« Er drückte ihm bewegt die Hand. »Jetzt entnehmt ihn seinem schaudervollen Bette und legt ihn in die letzte, kühle, stille Wohnstätte. Du wirst einsam ruhen, alter Freund! Aber der Wolf soll doch deine Gruft nicht aufwühlen, der Rabe nicht dein treues Auge seinen Jungen zur Speise ins Nest tragen.«
Der Leichnam wurde hinabgesenkt; bald bedeckte ihn die kalte Erde. »Ruhe wohl«, sprach Rasinski und streckte den Arm segnend über die Gruft aus. »Der Wille des Allmächtigen sandte dir ein Maß der Qual, das die menschliche Brust nicht zu fassen vermag, vor der die eisernen Nerven eines Helden erbeben. Doch seine Gnade ist reicher als seine Strenge; dir wird vergolten werden. Du ruhest hier einsam, denn keiner deiner Brüder schläft neben dir, und fern ist die Heimat der Deinen. Aber am Tage der Auferstehung werden dreißigtausend Helden um dich her erwachen und du wirst mit ihnen im Triumph einziehen in die Pforten des Jenseits. Dein Grab können wir nicht schmücken! Der nächste Frühling muß es tun! Fluch der Axt, die diese junge Fichte berührt, welche uns noch in späten Jahren deine heilige Ruhestätte bezeichnen kann; doch Segen über den, der dieser Gruft ein Liebeszeichen weiht!« Hier verstummte er.
Bernhard rief: »Laßt uns
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