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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Unpäßlichkeit der Gräfin unterbrochen werden durfte. Bianka, welche jedoch die Gewandtheit Dolgorows, sich zu beherrschen und die verschiedensten Formen seines Wesens anzunehmen, schon aus seiner frühern diplomatischen Laufbahn kannte, ließ sich durch sein argloses Benehmen nicht täuschen. Vollends aber als er den Versuch machte, durch die Tür, welche den eigenen Ausgang für ihr Zimmer bildete, zu gehen und sich erstaunt stellte, daß sie verschlossen sei, erhielt sie die völligste Gewißheit, daß er sich verstelle, zumal da er sogleich und mit einem gewissen Eifer, den ein gleichgültiger Umstand nicht hätte erregen können, Jeannetten befahl, den Kammerdiener zu fragen, ob er den Schlüssel habe, und Sorge zu tragen, daß geöffnet würde. Indessen ging er und bald darauf wurde die Tür in der Tat geöffnet. Bianka aber wußte nur zu gut, daß sie dadurch nicht ihre wirkliche Freiheit, sondern nur den Schein derselben zurückerhalten habe, und daß man jetzt ihre Schritte um desto sorgfältiger beobachten werde. Dennoch erschien ihr die Flucht nicht unmöglich, und überdies war es das einzige Mittel, welches ihr übrigblieb. Ihr Herz suchte daher mehr einen Rat als ihr Verstand. Sie mußte alte, heilige Pflichten brechen, neue, unendlich teuere übernehmen; Eltern, Vaterland, selbst den Namen sollte sie plötzlich lassen und in eine ganz andere Welt treten. So mächtig ihr Herz sie dorthin zog, jetzt im Augenblicke der Entscheidung empfand ihre edle Seele erst, mit wie unzähligen, unsichtbaren Fäden das Leben uns umspinnt, die erst dann uns halten und fesseln, wenn wir sie für immer zerreißen sollen. In dieser Bedrängnis schrieb sie an Gregor, ihren väterlichen Freund und Ratgeber, den Mitkundigen ihres Geheimnisses, und bat ihn dringend, sobald es ihm irgend möglich sei, nach dem Jagdschloß zu kommen. Doch war sie so vorsichtig, ihm den Grund ihrer Bitte nicht zu melden. Sie wußte, einer so dringenden Aufforderung folge er doch. Willhofen versprach den Brief durch einen sichern Boten zu besorgen, und meldete eine Stunde danach, daß es ihm gelungen sei.
    Jetzt fühlte sie ihr Herz wunderbar erleichtert; ihr Vertrauen zu dem teuern Lehrer war unbegrenzt; sie empfand, daß seine Gegenwart ihr Schutz und Rettung gewähren würde, denn es war seine Pflicht, ihr beides zu bieten, und wo diese ihn aufforderten, wußte sie, war sein Mut unerschüttert. Sie ging mit ihrer Mutter ins Tafelzimmer. Hier sah sie Ludwig und Bernhard nach der jetzt für ihr Herz so langen Trennung wieder. Es pochte in heftiger Wallung, doch gebot sie ihren Gefühlen mit angestrengter Kraft, um sich nicht zu verraten. Freilich, wohlwollend durfte sie ja sein, denn sie war es ja immer, und jetzt konnten dankbare Regungen ihr überdies den gültigsten Vorwand dazu leihen. Die Übung der vornehmen Sitte half ihr die Stunden des Mittagsessens überwinden, ohne durch irgend etwas ihre Stimmung zu verraten. Die Gewandtheit des Bruders, der sich des Gesprächs bemächtigte, es auf Schottland und England, auf seine Reisen daselbst, auf die Kunst im allgemeinen leitete und so auch Ludwig, der über ernste, Nachdenken erfordernde Gegenstände immer mit Einsicht zu sprechen wußte, hineinzog, kam ihr trefflich zu Hilfe. Dolgorow selbst verlor einen Teil seines Argwohns und überließ sich der Hoffnung, daß alle angeregten Besorgnisse auf zufälligen Umständen beruhten. Man stand endlich von der Tafel auf, und die Frauen waren im Begriff sich zurückzuziehen. Da erhaschte Bianka einen, wie sie glaubte unbewachten Augenblick und flüsterte Bernhard die Worte zu: »Sei getrost, ich habe Hoffnung zu einer glücklichen Wendung unsers Schicksals.«
    Doch Dolgorow, der eben von Jacques gebrachte Briefe geöffnet hatte und las, warf zufällig einen Blick über das Papier auf einen Spiegel, in dem er Bernhards und Biankas Gestalten ganz erblickte. Er sah ihre vertraute Annäherung, bemerkte ihr Flüstern und die Bewegung, welche die Worte auf Bernhards Angesicht erzeugten. Zwar hatte er keine Silbe vernommen, aber in der Miene beider gewahrte er den Ausdruck einer Vertraulichkeit, welche nur durch das innigste Verhältnis erzeugt werden konnte und um so mehr auffiel, als beide, da sich die Tür unvermutet öffnete, plötzlich den Ausdruck ihrer Züge änderten und die förmliche Haltung der Höflichkeit wieder annahmen.
    Was hier vorgegangen war, war zwischen der Fürstin Ochalskoi und einem Fremden ohne Rang und Namen unmöglich. Daher hatte

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