1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
aber seine Feuer zurück. Mit angehaltenem Atem und behutsamem Schritt zieht er sich durch die Schneefelder an der langen russischen Linie dahin. Da tritt der Mond, als ob in diesem Lande uns alle Kräfte der Natur feindlich gesinnt wären, urplötzlich hinter schwarzen düstern Wolken hervor und beleuchtet die Schneefläche mit vollem Glanze. Die Unserigen sehen die Russen so deutlich vor sich, daß sie auch von diesen so klar wie am hellen Tage bemerkt werden müssen. Selbst dem Tapfersten fällt hier der Mut. Eine russische Schildwache ahnt, was vorgeht; sie ruft an. Und jetzt war Frankreichs edelster Feldherr, der Stolz des Heeres, jetzt waren die tapfersten Krieger unwiederbringlich verloren, wenn nicht ein Pole sie rettete. Oberst Kliski–«
»Ha! wackerer Landsmann!« unterbrach Rasinski den Erzähler mit leuchtenden Augen, denn er ahnte bereits den Zusammenhang.
»Oberst Kliski sprengt, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, vor und ruft dem Russen mit gedämpfter Stimme zu: ›Wahnsinniger! Wirst du schweigen! Siehst du nicht, daß wir von Uwarows Korps sind und uns dem Feinde in den Rücken schleichen?‹ Der Soldat, der seine Landessprache hört, steht gefesselt still. Mehrere Kameraden, auch einige Offiziere, die die Worte gehört haben, treten näher und bieten einen guten Abend. Kliski hält still, spricht mit ihnen leise, aber freundschaftlich, ersucht sie, die Kosaken zurückzuhalten, damit ihr Vorwitz kein Unheil anrichte, und wartet so, mitten unter den Feinden, bis er sieht, daß die Unserigen freie Bahn gewonnen haben. Jetzt sprengt er ihnen nach, und in der nächsten Stunde ist die Rettung vollendet.«
Rasinski hatte männliche Tränen der Freude im Auge, als er die Tat des Landsmanns hörte. »Braver Kliski,« sprach er nochmals, »du warst von jeher der Stolz Polens! du wirst es auch für fernere Jahrhunderte bleiben!«
»Ja, Frankreich schuldet euch einen großen Dank, ihr Polen,« fuhr Regnard fort; » es wäre der Verachtung wert, wenn es dessen nicht ewig gedenken, und euch vergelten wollte, wenn's die Zeit herbeiführt. « – »Von wem habt ihr aber den Bericht?« fragte Rasinski. – »Vom Kapitän Lebrun,« erwiderte dieser, »vom vierzigsten Regiment; ein braver Junge, dem es hätte besser ergehen sollen.«
»Ich kenne ihn,« sprach Jaromir nicht ohne Bewegung; »er biwakierte in Moskau dicht an unserm Quartier, wir machten noch am ersten Abende einen Spaziergang zusammen durch die Stadt. Und er ist geblieben?«
»Er war am Tage verwundet worden,« fuhr Regnard nicht ohne Bewegung fort; »doch strengte er sich aufs äußerste an, um den Rettungsmarsch zu vollenden. Das Heer war schon in Sicherheit, als ihn die Kräfte verließen, er blieb zurück und wurde von schwärmenden Kosaken aufgehoben. Der Zufall führte uns zusammen; er erzählte mir, was geschehen war. Die hündische Behandlung, die er erfuhr – denn gefüttert hat man uns auch nicht – der Blutverlust – kurz, es wurde ihm zuviel. Nun liegt er still auf dem kalten Schnee, wie so viel Tausende von uns. Einer mehr – wer fragt danach! Aber – es war doch ein braver Junge!«
So sehr Regnard sich bemühte, den trockenen, kurzen Ton seiner Redeweise beizubehalten, so mußten doch diejenigen die ihn näher kannten, die Beimischung von Rührung, der er sich nicht erwehren konnte, auffallend genug bemerken. Aber die Zeit war danach, auch die Härtesten zu erweichen und dem Kältesten heiße Tränen zu erpressen.
Indessen hatte man das Biwak wieder erreicht. Jaromir in tiefen, düstern Gedanken, denn die Erinnerung an Lebrun rief ihm alle Ereignisse jenes Tages, der so verhängnisvoll für ihn wurde, wieder mit erneuter Lebhaftigkeit vor die Seele zurück. Selbst die grausenvollen Gemälde des Entsetzens, die er jetzt täglich rings um sich her sah, hatten nur bleiche Farben gegen jene Bilder der glühenden Erinnerung. So ist alles Leiden und alles Glück des Menschen im Innersten seiner Seele gegründet, und kein äußeres Ereignis vermag sich so tief in seine Brust zu prägen, als die selbstbereiteten Qualen oder Freuden darin eindringen. Alisettens Schicksal kannte er indessen noch nicht, denn der schonende Boleslaw hatte es ihm verschwiegen, weil er wußte, wie es ihn erschüttern mußte.
Rasinski und Regnard begaben sich zum Marschall Ney, um diesem Bericht abzustatten. Der Feldherr hörte mit äußerster Spannung, was ihm Regnard von den Ereignissen des vorigen Tages berichtete. Er forschte genau nach der
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