1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Stärke und den mutmaßlichen Absichten des Feindes; die Antworten konnten nicht beruhigend ausfallen. »Ich sehe einen heißen Tag vor uns; aber es wird ein Tag der Ehre sein,« sprach er mit dem entschlossenen, ruhigen Tone des Helden; »doch gönnen wir dem Krieger heute seine Ruhe; er wird es morgen zeitig genug erfahren, daß er nicht nur mit allen Schrecken der Natur, sondern auch mit einem überlegenen Feinde zu kämpfen hat. Ich hoffe, wir werden beide besiegen. Zwei Stunden nach Mitternacht wollen wir fort.« So entließ der Marschall Rasinski und Regnard.
Am Wachtfeuer fanden sie Jaromir und Boleslaw, die einzigen noch übrigen Offiziere des Regiments. Regnard fragte nach Ludwig und Bernhard. Ein düsterer Blick Rasinskis ließ ihn nicht an ihrem Schicksal zweifeln. »Also auch tot!« sprach er und schüttelte das Haupt. »Dieser mit Eis gepanzerte Boden ist blutgieriger als ein Vampir!«
Jaromir versuchte, indem er erzählte, was man von den beiden Verschwundenen wußte, noch einmal die Hoffnung für sie rege zu machen; doch Rasinski, sonst immer noch voller Mut und Vertrauen, wo andere schon längst alles verloren gaben, wies jeden Trost dieser Art zurück. »Hier hoffe ich nichts für mich,« sprach er; »dafür fürchte ich auch dort,« er deutete mit der Hand nach der Richtung, die das Heer zu nehmen hatte, »was mich betrifft, um so weniger. So gleichen sich die Dinge aus.«
»Mir liegt noch eine Sorge auf dem Herzen«, nahm Regnard das Wort nach einer Pause. »Mein junger Freund dort wird mir vergeben, wenn ich damit vielleicht alte verdrießliche Erinnerungen berühre. Aber die jetzige eiserne Zeit hat ja wohl die leichten Spuren voriger, achtlos hingelebter Tage genug verwischt, um alles, was von dort herstammt, ins Meer der Vergessenheit zu versenken. Weiß niemand von euch, was aus Alisette geworden ist?« Jaromir heftete den Blick finster auf den Boden und hüllte sich, zusammenschauernd, dichter in den Mantel ein. Boleslaw war unschlüssig, ob er antworten sollte. »Ich hatte mich,« fuhr Regnard fort, der in dieser Beziehung mit der den meisten Männern gewöhnlichen Gleichgültigkeit über das Unsittliche seines Verhältnisses zu dem Mädchen dachte, und es daher auch ohne Bedenken völlig entschleierte; »ich hatte mich seit jenem Ereignis in Moskau von ihr getrennt. Daß sie leichtsinnig sei, wußte ich zwar, allein auf solche Weise durfte ich's nicht wissen. Die Auflösung unsers Verhältnisses mochte ihr auch selbst lieb sein. Jetzt aber nehme ich doch Anteil an ihrem Schicksale, und mehr noch an dem unsers Kindes. Denn, warum sollte ich's Hehl haben, daß ich der Vater bin? Ich werde es niemals verleugnen. Schon jetzt hätte ich Alisetten die Sorge dafür abgenommen – denn das kleine Wesen muß anders erzogen werden, als seine Mutter es vermag –, wenn es nicht, solange der Feldzug dauert, am besten in ihrer Obhut geblieben wäre. Einer weiblichen Pflege bedurfte es doch, und so war die Mutter immer die Nächste. Ich verschaffte ihr daher in Moskau Wagen und Pferde und gab ihr reichliches Reisegeld. Jetzt aber wird dergleichen freilich alles unzureichend; seit den ersten Tagen des Ausmarsches ist sie mir nicht zu Gesichte gekommen; es mag ihr am Ende übel gehen. In der Gefangenschaft drüben hatte ich so meine eigenen Gedanken darüber, die man freilich, bevor die Not des Lebens kommt, zumal hier in dem Kriegsgetümmel nur zu leicht vergißt. Jetzt soll es aber mein erstes sein, mich um sie und um das Kind zu kümmern, denn ich bin insofern verantwortlich dafür, als ich sie bestimmt habe, mir nach Rußland zu folgen. Ihr, meine Freunde, werdet mir gewiß euern Beistand dabei nicht versagen.«
Boleslaw schwieg in peinlicher Verlegenheit, denn er empfand es zu tief, wie Jaromir durch die Erzählung der Wahrheit erschüttert werden würde; doch das Kind war am Leben, war sogar in der Nähe, und dies mußte der Vater, der die Sorge dafür übernehmen wollte, erfahren. Es war ihm daher sehr willkommen, daß Jaromir, durch das Gespräch von seinen schon vorher mächtig geweckten Erinnerungen zu heftig bewegt, aufstand und mit hastigen Schritten den Platz verließ, um seine Erschütterung zu verbergen. »Hm! das tut mir leid,« sprach Regnard, der die Ursache erriet; »ich kann aber nicht begreifen, wie ein Mann so reizbar sein kann.« – »Lassen Sie es uns lieb sein, Oberst,« nahm Boleslaw das Wort, »daß wir allein sind. Ich kann Ihnen leider Nachrichten von der Unglücklichen
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