1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Mut, mit erneuter Kraft dringen die treuen Kameraden vor. Da teilen sich die Wolken; der Mond, der so oft ein gefährlicher Feind gewesen, wird endlich ein Freund der Bedrängten. Er wirft sein Licht über die Schneehügel, und jetzt sieht man einen schwarzen Zug von Kriegern am Saum des Waldes hinabziehen. »Diese sind es«, ruft Rasinski, und die Truppen beschleunigen den Marsch. Bald erblickt man sich gegenseitig; neue Freundeszeichen werden gegeben; die Freude treibt zur Eile an; die edeln Führer können den Augenblick nicht erwarten, sie sprengen dem Heere vor, und einander erkennend schwingen sie sich vom Pferde und halten sich in inniger Umarmung.
Das ganze Heer wird von dem begeisternden Beispiel ergriffen. Als hätte jeder sich einen Bruder, einen Sohn, einen Vater gerettet, stürzen Offiziere und Soldaten aufeinander zu und halten sich in brüderlichen Armen. Vergessen sind die Gefahren, die Leiden, die Opfer. Auf dem düstern Meer des Unheils leuchtet endlich ein heller Stern der Freude, die erstarrte Eissteppe Rußlands, bisher nur die grauenvolle Bühne des Entsetzens, sieht ein rührendes Schauspiel der Liebe und Treue, in dem nur Freudentränen fließen. Mit liebender Ehrfurcht wird der Held, der sich mit Löwenkühnheit durch alle Feinde und Gefahren gerungen, von den Kriegern umringt. Seinen Lorbeer befleckt nicht einmal der Neid derer, die ihm gleichstehen. Willig legen ihm alle den Preis zu Füßen; doch er, so sind Pflicht, Ehre und Ruhm ihm zur edlern Natur geworden, weiß kaum, daß er ihn verdient hat. Im Triumph wird er nach Orsza geführt; auf dem Wege dahin teilen die Krieger des Vizekönigs mit denen des geretteten Marschalls brüderlich die Lebensmittel, die Getränke, deren jene Erschöpften so lange entbehren mußten. Sie erzählen einander ihre Leiden, ihre Gefahren, ihre Taten; doch jene vergißt der Soldat, diese bleiben fest in seinem Gedächtnis, ihrer rühmt er sich stolz, und an ihnen erhebt sich sein Mut zu neuen Wagnissen.
So ziehen die Tapfern stolz ein in die Lagerstätten dieser Nacht. Sie fühlen sich wieder die Krieger jenes großen unbesiegbaren Heeres, weil sie das köstlichste Gut aus dem furchtbaren Schiffbruch ihres Glücks gerettet haben, den Ruhm; denn der Feind darf von keinem Heere sprechen, das sich ihm ergeben hat; alle sind sie mitten durch die Schrecken seiner Waffen und die grimmigern der empörten Natur kühn hindurchgedrungen. An diesem stolzen Gedanken entzündet sich ein edles Feuer in den Herzen der Krieger, und in seiner Glut schmiedet sich der stählerne Harnisch unerschütterlicher Entschlossenheit um die Heldenbrust.
Dreizehntes Buch.
Erstes Kapitel.
Durch Rasinskis Bemühung, der die dankbarste Freude über die Rettung Ludwigs und Bernhards im Herzen trug, waren diese wieder in Besitz eines Wagens gelangt, auf dem Bianka, Jeannette und das Kind den beschwerlichen Zug fortsetzen konnten. Um in dem allgemeinen Unglücke sich so hilfreich zu zeigen, als sie vermochten, nahmen sie noch drei verwundete Offiziere auf, deren einer immer abwechselnd die Zügel führte. Ludwig und Bernhard, dessen Wunde bei seinen frischen jugendlichen Kräften und unter der besten Pflege, die er in den letzten Tagen genossen hatte, völlig geheilt war, gingen zu Fuß, hielten sich aber stets in der Nähe des Wagens. Rasinski und seine Leute betrachteten sich gewissermaßen als die Deckung desselben und verließen ihn nur, wenn die Pflicht sie anderwärts hinrief.
Die Kälte hatte ganz nachgelassen; es war so starkes Tauwetter eingetreten, daß sogar der Schnee zum Teil wegschmolz und wenigstens auf der Landstraße nicht mehr liegenblieb. Fiel daher der Winter das Heer nicht mehr so gewaltsam mit seinen scharfen Waffen an, so wurde dafür der Marsch desto mühseliger. Diejenigen, welche in der Meinung, das Reich des Winters habe dauernd begonnen, ihre Wagen mit Schlitten vertauscht hatten, sahen sich jetzt bitter getäuscht, da diese Fuhrwerke in dem schmelzenden Schnee durchaus nicht fortzuschaffen waren. Mehr der Zufall als Vorsicht hatte für Bianka auf umgekehrte Weise gesorgt. Wie man in ernstern Zeiten auch auf die geringsten begünstigenden Umstände hohen Wert legt, so wollte sie auch darin ein besonderes Zeichen erkennen, daß die beschützende Hand des Himmels über ihr weile und sie glücklich aus dem tiefen Strudel aller dieser Bedrängnisse erretten werde. Doch mit schauderndem Mitgefühl sah sie das Unglück, welches rings um sie her mit jeder Stunde eine
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