1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
sprach bewegt: »So fühlte ich mich ja von dem ersten Augenblick an, als Sie in die Leere traten, die der Tod der liebevollsten Mutter meinem Herzen ließ. O, ich habe es stets mit innigstem Danke gegen die Vorsehung erkannt, wie mild Sie für mich sorgten, als ich schutz- und ratlos, als ich ganz verlassen war! Ich flüchtete mich wie eine gescheuchte Taube unter Ihre schirmenden Flügel, Und wie treu wurde ich gehegt! Darum muß ich auch jetzt mein Herz öffnen, wiewohl es mir einige Überwindung kostet, weil Sie mir vielleicht eine selbsttäuschende Eitelkeit schuld geben. Doch ich muß diesen Schein eines Unrechts ertragen, um nicht ein wirkliches zu begehen.«
Die Gräfin hörte mit gespannter Erwartung zu; Marie schwieg einige Augenblicke, dann fuhr sie unter einem lieblichen Erröten mit niedergeschlagenen Blicken fort: »Ich glaube – ich fürchte, möchte ich sagen – der Rittmeister Arnheim nährt Absichten –« Hier brach sie in Tränen aus. Die Gräfin, ganz erschrocken, zog sie näher zu sich und suchte sie zu beruhigen. Sie konnte dieses Weinen freilich nicht in seiner ganzen Bedeutung verstehen, weil Marie über Rasinskis Werbung um sie niemals die Lippen geöffnet hatte. Doch in dieser mußten die aufgeregten Erinnerungen Gefühle erzeugen, denen ihre weiche Seele sich wehmütig hingab.
»Du würdest seine Neigung nicht erwidern können?« fragte die Gräfin mit sanfter Stimme. – »Das ist es ja eben, was mich betrübt und was ich mir vorwerfe«, erwiderte Marie. »Er ist gut, ja ich muß ihn edel nennen; und ich bin nicht ohne Schuld, denn ich habe ihm vielleicht zu unvorsichtig meine Gesinnung enthüllt – ach, es trat auch manches dazu, was meine Freundschaft für ihn stärker anregte – und nun soll ich ihm sagen: ich verschmähe dich! Das tut mir im Innersten weh und beängstigt mich. Darum bedarf ich eines mütterlichen Rats, wie ich das unvermeidliche Übel mildere.« – »Gute Marie,« antwortete die Gräfin freundlich, »du weißt, ich gehöre nicht zu denen, die die heiligste Empfindung des Herzens, die Liebe, zu den schwärmerischen Torheiten zählen; doch glaube ich, daß Bündnisse, auf dem festen Ankergrund der Achtung und Freundschaft gebaut, meist dauernd glücklicher sind als die, welche sich auf den schwankenden Wellen der Leidenschaft knüpfen. Sollten wir Frauen, denen die Freiheit der Wahl nicht zusteht, wohl das Recht haben, da zurückzuweisen, wo die schärfste Prüfung keine andere gültige Einwendung aufzufinden vermag als die, daß in uns keine unaufgeforderte Neigung erwacht war? Es ist schön, wenn sich die Herzen entgegenkommen; aber wie selten ist es! Glauben wir uns berechtigt, auch da ein Nein zu sprechen, wo wir Achtung und Freundschaft im höchsten Maße empfinden dürfen, so vernichten wir fast die Möglichkeit, unsere weibliche Bestimmung zu erfüllen. Liebe erweckt ja Liebe; wie könnten sich sonst so viele Bündnisse der Herzen gestalten! Man liebt, weil man geliebt wird –«
»Wenn dem aber doch nicht so ist!« rief Marie schmerzlich ausbrechend und verhüllte das Gesicht in ihr Tuch. »Wenn nun dieses schöne Echo der Neigung nicht im Herzen widerklingt,« sprach sie nach einigen Augenblicken ruhiger, »dann ist es doch wohl nicht Pflicht, ein Band zu knüpfen, nur weil es in äußern Beziehungen vollständig erscheint. Das Recht der Wahl ist uns versagt; sollten wir deshalb auch das verlieren, ein Nein zu sprechen, wo unser Herz das Ja nicht über sich zu gewinnen vermag?«
Die Gräfin schwieg. Ihr Gesetz war eines des Gebrauchs, der Wirklichkeit, wie es das Leben in seiner Erscheinung erzeugt; Mariens ein höheres aus dem freien Reich des Gedankens, das freilich selten in Kraft tritt, aber darum doch seine heilige Gültigkeit nicht verliert. »Und wozu bedürftest du nun meines Rates, Liebe, wenn du so entschlossen bist?« fragte die Gräfin nach einer Pause.
»Nicht Ihres Rats allein, Ihrer Tat bedarf ich«, erwiderte Marie. »Bis jetzt ist kein entschiedenes Wort gesprochen worden; Sie könnten es uns beiden ersparen, daß schroff und hart hingestellt würde, was man besser schonend umgeht.« – »Wie gern will ich das, so weh es mir tut«, antwortete die Gräfin. »Doch, Liebe, bist du ganz unwiderruflich entschlossen? Wenn nun – ich muß dich an diese bittere Möglichkeit erinnern – wenn nun Ludwig nicht heimkehrte aus diesem blutigen Kampfe! –«
»O, er wird, er wird!« rief Marie. »Und sollte ich meine Hand einem Manne reichen,
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