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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Hauptstraße, auf der die Massen sich in wildem Gedränge dem Eingange des Fleckens zuwälzten, gelegen war. Unvermutet fanden sie hier noch ein bewohntes Obdach; ein Greis öffnete den Kommenden die Tür und näherte sich mit bittender Gebärde. Rasinski rief ihm zu: »Ist Raum in euerer Hütte?« – »O freilich!« erwiderte der Alte, erfreut, seine Landessprache zu hören; »ich will euch gern beherbergen. Nur stehe ich euch an, treibt mich nicht selbst hinaus in diese furchtbare Mitternacht. Gönnt auch meinem alten Haupte ein Plätzchen!« – »Hältst du uns für entmenschte Barbaren?« fragte Rasinski unwillig schaudernd; »du hast nichts zu fürchten!«
    »So segne euch der Herr!« rief der Greis; »aber gestern haben sie meinen Sohn und meine kleinen Enkelinnen hinausgetrieben, und sie sind erstarrt vor meiner verschlossenen Tür! Ach, ich habe ihre Leichen in meiner Hütte!« – »Gott der Barmherzigkeit!« rief Bianka, von einem entsetzenvollen Grauen ergriffen, aus, »war es möglich!«
    »Auch wir bringen dir einen Toten,« sprach Rasinski; »seine heiligen Überreste sind uns so teuer wie unser Leben. Willst du bei der Mutter Maria schwören, ihn fromm, christlich zu bestatten, wenn uns die Gewalt des drängenden Kriegs hindert, so verheiße ich dir und deinem Hause Sicherheit, solange wir darin weilen.« – »Bei der gebenedeiten Mutter schwöre ich's, er soll an der Seite der eigenen Kinder ruhen«, rief der Greis und erhob die Hand zum Eide.
    So traten sie in die Hütte. »Bringt den Toten hier herein, liebe Herren,« sprach der Alte und öffnete vorleuchtend eine Seitentür, die zu einem Kämmerchen führte. »O, mein Gott!« rief Bianka aus, als sie einen Blick hineinwarf. Auf einem mit weißen Linnentüchern bedeckten Strohlager lag in einem Totenhemd ein Mann, noch in frischen Jahren, doch von kränklichem Ansehen. Neben ihm zwei kleine Mädchen, höchstens sieben bis acht Jahre alt.
    Ludwig und Rasinski trugen Boleslaws Leiche hinein und legten sie zur Seite der entschlummerten holden Kleinen nieder. »Seht ihr, liebe Herren, das sind sie«, sprach der Greis, und Tränen erstickten seine Stimme. »Gestern waren die Kinder noch frisch wie die Röschen – der Vater kränkelte zwar seit dem Frühjahr – wo sein Weib, – nein, laßt mich das nicht erzählen! Das nicht! – Gestern stürmten so viele Krieger in mein Haus, daß sie nicht Raum fanden – sie trieben uns hinaus – freilich waren sie elend genug, aber ein Plätzchen hätten sie uns doch gönnen sollen. Wir brachten die Nacht im Freien zu; mein Sohn, den die Krankheit zerstört hat, überdauerte die grimmige Kälte nicht; die Kleinen konnte ich vorm Schlaf nicht schützen – sie erstarrten in meinen Armen. Ich allein blieb übrig. Ich hätte mich gern zu den Toten auf den Schnee gelegt, doch ich habe noch eine Tochter – um ihretwillen lebe ich. Sie ist aber jetzt in Wilna.«
    Während der Alte sein Herz klagend eröffnete, hatten die Männer Boleslaws Kleidung und Haar geordnet und ihn mit dem weiten Mantel bedeckt, daß die Spuren der Zerschmetterung und das schon erstarrte Blut verhüllt wurden. Jetzt glich er einem Schlummernden, so ruhig, ernst und edel waren seine Züge. »Laßt ihn hier ruhen«, sprach Rasinski wehmütig. »Sein Bild steht in unsern Herzen, lebend, würdig, freundlich. So laßt es uns bewahren; es ist nicht gut, bei der erstarrten Hülle zu weilen.« Seinem Wunsche folgend traten alle in das Gemach zurück, dessen wohltuende Wärme sie erquickend empfing.
    Es war seit langer Zeit das erste sichere Obdach, das sie aufnahm. Ein gastliches Feuer loderte auf dem Herde und erwärmte die innern Räume. Der Schiffer, der nach dem Sturm auf wüstem Meer den Hafen erreicht, wird nicht so von dem Gefühl des Heils und des Dankes gegen den allmächtigen Retter durchdrungen, als dieses Bild der Gastlichkeit und des Schutzes gegen den Ingrimm der Natur die Seele der Müden, von Schmerz und Qual Gebeugten mit neuen Lebenshoffnungen durchströmte. »Ein lenkender Gott der Gnade ist mit uns«, sprach Ludwig, zu Bianka gewandt, die er wiederum als neu gewonnen aus dem Drang der Gefahren und Beschwerden ans Herz schloß. »Wie hart wir geprüft werden, der Schutz des Allmächtigen verläßt uns nicht.«
    »Sein holder Engel wandelt ja mitten unter uns,« sprach Rasinski und berührte leise Biankas Locken, die die Wange sanft gegen Ludwigs Brust geneigt hatte; »dieses reine Haupt wendet auch von uns das Verderben ab. Sei

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