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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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stattliche Karosse vorführe – je nun, warum sollte er nicht drinnen sitzen, warum nicht in Begleitung eines reichen Freundes oder Reisegefährten eintreffen? Wenn die Haustür auf ihren Angeln kreischt, wenn ein männlicher Fuß sich auf der Treppe hören läßt – ich denke immer an Ludwig, hoffe immer, die Tür sich öffnen und ihn eintreten zu sehen. Gott im Himmel, er ist es,« rief sie plötzlich aus, da in der Tat die Tür des Gemachs sich öffnete; und mit dem Rufe: »Bruder, liebster Bruder!« flog sie dem Eintretenden entgegen und hing in der herzlichsten Umarmung an seinem Halse. Sie küßte, weinte, lachte und ließ sich halb zur Mutter hintragen, die zitternd vom Sofa aufzustehen versuchte, aber, von der heftigen Wallung der Freude überwältigt, wieder zurücksank, bis Ludwig ihre beiden Hände ergriff, sie mit heißen Freudentränen küßte und dann in tiefster Bewegung sein Antlitz an der mütterlichen Brust verbarg.
    Diese legte die Hände segnend auf sein Haupt, und den Blick gen Himmel gewendet, dankte sie in sprachloser Freude dem Allmächtigen für das Wiedersehen des teuern, einzigen Sohnes. Marie hatte wenigstens die Hand des Bruders nicht losgelassen; sie hielt diese mit sanftem Druck in ihrer Rechten, während sie den linken Arm um die Mutter legte und ihre Wange leise gegen die Schulter derselben neigte, als wolle sie sich doch einen kleinen Teil von dem Strom der mütterlichen Liebe, die sich in diesem Augenblicke ganz auf den Bruder ergoß, zusichern. Es war aber nur, um den Bruder, als er das Antlitz endlich wieder erhob, gleich von neuem zu herzen und zu küssen, und ihm durch tausend schwesterliche Liebkosungen ihre Freude auszudrücken.
    Nachdem die ersten Augenblicke, die in der Freude wie im Schmerz etwas Betäubendes, Überwältigendes haben, vorüber waren, kehrte der unbeschreiblich liebe Zustand in die drei Herzen ein, wo man Ruhe genug hat, sein Glück zu fassen und zu überschauen, und doch noch die ganze Frische des ersten Eindrucks empfindet. Dann erst erfreut man sich des Besitzes, genießt die Gaben, mit denen eine gütige Gottheit uns plötzlich reich überschüttet hat. Nun begannen auch jene heitern Spiele unbefangener Herzlichkeit, jene tausend Fragen nach Kleinigkeiten, Erinnerungen; dieses süße erste Ergießen der vollen Herzen, dieses Mitteilen der neuesten liebsten Eindrücke der Seele, durch deren Austausch man sich gewissermaßen erst wieder einlebt und einweiht, und die kleinen Entfremdungen, die Zeit und Ferne in den vertrautesten Gemütern erzeugen, ausgleicht.
    Marie strich ihrem Bruder das Haar aus der Stirn und sprach lächelnd, indem sie ihn liebevoll anblickte: »Du bist ganz unverändert, wenn auch deine Stirn etwas männlich gebräunt ist; sie ist doch noch so frei und schön wie ehemals. Und wenn ich nichts von dir gesehen hätte als diese etwa über eine Hecke hervorragen, hinter der du lauschtest, ich würde dich doch augenblicklich erkannt haben!«
    Ludwig sah ihr in das treue freundliche Auge, das ihn mit unaussprechlicher Liebe anblickte. Er erwiderte ihr kindliches Spiel, indem er ihr die eine Hand auf die Stirn legte, mit der andern leicht das Gesicht bedeckte, so daß nur die Augen zwischen beiden hindurchblickten. »Und dich,« sprach er jetzt, »hätte ich in dem entferntesten Sizilien erkannt, wenn du so, wie jetzt zwischen meinen beiden Händen, durch die Spalte grüner Jalousien gesehen hättest. Deine lieben blauen Augen würden dich gleich verraten haben. Und doch kommen sie mir noch reiner vor als sonst; ja du bist überhaupt viel schöner geworden!« – »Geh doch,« sprach Marie, indem sie sich seinen Händen sanft entzog, worauf man erst sah, daß ein leichtes Erröten ihre Wangen höher gefärbt hatte, »geh doch! Wir wollen uns lieber ganz frei und heiter anblicken. Und du mußt mir tausend Dinge erzählen. Doch halt: zuvor sage mir, bist du denn in dem Wagen gekommen, der mit vier Postpferden bespannt soeben hier vorbeifuhr?« »Jawohl, Marie,« antwortete Ludwig; »aber ich wollte euch überraschen, drum war ich schon an der Ecke ausgestiegen und schlich, während der Wagen vorüberrasselte, ins Haus, so daß ihr auch nicht einmal die Tür gehen hörtet.«
    »Das war herrlich von dir; und wie ist dir's gelungen!« rief Marie. »Aber wie kommst du nur in den schönen Wagen mit vier Pferden?« Die Mutter schien eine ähnliche Frage auf der Zunge gehabt zu haben. Ludwig erwiderte rasch: »Seltsam genug, liebe Mutter, aber recht

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