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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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besorgt, bist du es?«
    »Nun du hier bist, fühle ich mich auch wieder ganz ruhig und geborgen«, erwiderte Marie und schmiegte sich sanft an den Bruder. »Bisher hat das rauhe Kriegsgetümmel, hat sogar die glanzvolle Pracht, die sich jetzt hier entfaltet, mich fast beängstigt. Morgen, sagt man, kommt der Kaiser Napoleon. Viele Fürsten sind schon versammelt, um ihn zu erwarten. Was muß dieser Mann doch für eine Gewalt über die Menschen üben! Wie vermag er es nur, sie zu den furchtbarsten Opfern und Anstrengungen zu bewegen, da fast alle sie doch gewiß mit den widerstrebendsten Herzen bringen. Nur unser König nicht, der ihm in unseliger Verblendung anhängt, der–«
    »Sprich nicht weiter, Marie«, unterbrach Ludwig die Schwester ernst. »Verurteile nicht, wo es dem Besonnensten schwer fällt, zu urteilen. Weißt du, was ein Fürst abzuwägen hat? Und begreifst du die unwiderstehliche Kraft, die eine überwiegende Geistesgröße ausübt? Hier verwickeln sich Pflichten und Empfindungen oft so, daß es dem schärfsten Verstande nicht gelingt, sie klar zu scheiden.«
    »Wie,« sprach Marie betroffen, »wärest auch du ein Anhänger des Mannes, der unser Vaterland in ein so namenloses Elend gestürzt hat und noch täglich tiefer darein versenkt?«
    »Liebe Schwester,« antwortete Ludwig, »du sprichst wie ein Mädchen; aber freilich auch wie viele Männer, die nur das Nächste sehen, nicht die Ketten der Ursachen und Folgen überschauen, welche Deutschlands unseligen Zustand herbeigeführt haben; die nicht mehr urteilen können, weil sie Partei in dem Streit genommen haben. Hältst du mich für einen Feind des Vaterlandes? Wie aber, wenn ein echtes, aufrichtiges, nicht aber ein geheucheltes Anschließen an Frankreich allein das Vaterland retten könnte? Doch laß das; das sind düstere Fragen, die uns ja jetzo eben nicht kümmern, die der weiblichen Brust fernliegen, die uns die ersten Stunden des Wiedersehens nicht verkümmern sollen.« Marie schwieg und senkte den Blick unruhig auf den Boden.
    »Sieh mir ins Angesicht,« fuhr Ludwig fort, »ich bin redlich und treu wie immer, bin dein Bruder wie sonst; du darfst mich von Herzen lieben, denn ich habe nichts getan, was meiner unwürdig wäre. Und ob ich das Beste meines Vaterlandes will? Marie, dürftest du daran zweifeln, selbst wenn ich es auf anderm Wege wollte als du, als so viele, die gleich dir denken?«
    »O, du bist gewiß gut von ganzem Herzen!« rief Marie; »aber darum würde mich's eben tief bekümmern, wenn wir hier verschieden fühlten und dächten.« – »Wir werden uns schon verstehen und einigen,« erwiderte Ludwig; »laß uns aber jetzt zur Mutter hinüber.« – Sie gingen.
    Da Ludwig mit männlicher Gewalt seiner Stimmung Herr wurde und in dem Faden seiner Erzählungen, die er absichtlich ausführlich und systematisch einrichtete, einen Anhalt fand, der ihn verhinderte, sich seinen trüben, geheimen Empfindungen zu überlassen, so verfloß der Abend unter traulichen Gesprächen, verschönt durch die liebevollen häuslichen und schwesterlichen Aufmerksamkeiten Mariens, die alles aufbot, damit es dem Bruder recht wohl im mütterlichen Hause sei, damit er nichts vermissen, und, so dachte sie nach dem Gespräch in seinem Zimmer ganz heimlich, ohne sich es selbst zu gestehen, damit er ganz der Ihrige werden sollte. Denn, ohne es zu berechnen, fühlte sie doch, wie unzerreißbar der Mensch von den kleinen, feinen Fäden des täglichen Lebens und der nächsten Verhältnisse umsponnen wird und wie er, durch diese gehalten, oft einer einzelnen mächtigen Gewalt widersteht, oder leichter eine starke Fessel sprengt, als sich jenen tausend fast unsichtbaren Geweben entwindet.

Zweites Kapitel.
    Am folgenden Abend bot Dresden das großartige Schauspiel des Zusammenströmens einer unübersehlichen Volksmenge und die geordnete Aufstellung furchtbarer kriegerischer Massen dar. Der Einzug des Kaisers war die Veranlassung zu diesem gewaltigen Wogen und Treiben in der Stadt. Man erwartete denselben in einer feierlichen Spannung, die fast an ein gewisses unheimliches Grauen grenzte. Denn seine Erscheinung sollte das Signal zu einem Unternehmen sein, dessen riesenhafte Kühnheit auch die verwegensten Gemüter mit schwindelndem Erstaunen erfüllte. Dieses Gefühl knüpfte sich an die Empfindung des Schreckens, des Hasses, oder der Bewunderung, welche der außerordentliche Mann seinem ganzen Zeitalter einflößte; Empfindungen, die bei dem einen oder dem andern

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