1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
angenehm. Ich machte schon in der Schweiz die Bekanntschaft einiger polnischer Offiziere. In Leipzig trafen wir uns wieder. Sie drangen darauf, daß ich mit ihnen fahren sollte, und ich nahm das herzliche Anerbieten gern an, doch von deiner Güte, liebe Mutter, werde ich die Erwiderung dieser Höflichkeit erbitten müssen, denn es möchte sich fast nicht vermeiden lassen, daß ich sie einlade, unser Haus zu besuchen.«
»Wenn sie sich in der beschränkten Häuslichkeit zweier Frauen nicht unangenehm fühlen,« erwiderte die Mutter, »so weißt du, daß deine Freunde mir immer willkommen sind.« – »Aber du kennst ja dein Zimmer noch nicht einmal,« rief Marie lebhaft dazwischen; »o das muß ich dir gleich zeigen! Und wo ist denn dein Gepäck?« – »Das können wir nachher aus dem Hotel de Pologne holen lassen, liebe Schwester. Es war mit dem meiner Freunde so verpackt, daß ich es hier nicht so rasch hätte bekommen können; doch jetzt eilt es ja nicht. Zeige mir nun, wie ich wohne.«
»O gewiß recht traulich, und ich denke, ich habe alles so eingerichtet, daß es dir gefallen kann«, sprach Marie, indem sie mit dem Schlüssel in der Hand fröhlich voranhüpfte.
Als Ludwig in das stille freundliche Gemach eintrat, überkam ihn ein unwiderstehliches Gefühl der tiefsten Wehmut. Es liegt im Menschen, seinen Schmerz tiefer zu empfinden, wenn er einen Schein des Glücks um sich her erblickt. Die Liebe der Mutter und der Schwester hatte ihn so herzlich empfangen, und das Gemach, in welches er trat, wo er alles beisammensah, worauf er jemals seine Neigung geworfen, was ihm glückliche Stunden verschafft hatte, war ein neuer Beweis für diese Liebe. Er würde sich noch vor wenigen Wochen so glücklich in diesem Bewußtsein, so heimisch in dieser traulichen Umgebung gefühlt haben – und jetzt empfand er es so schwer und so unleugbar, daß das alles nur den Schein des Glückes bilde. Was ihm bisher genügte, ihn erfreute, sein Herz ganz erfüllte, hatte plötzlich alle Kraft verloren und blickte ihn nur um so trüber an, je teuerer es ihm zuvor gewesen war.
Marie bemerkte in ihrer arglosen Freude nicht, welch einen Kampf er mit sich bestand; sie hielt die Träne, die in seinem Auge glänzte, für eine der freundlichen Rührung, oder glaubte sie lieben alten Erinnerungen gewidmet, die sie selbst jetzt mit erneuter Kraft ergriffen und auch ihr Tränen ins Auge trieben, aber selige, unbeschreiblich beglückende. »Nicht wahr, Ludwig, wir verstehen uns wohl?« fragte sie und blickte ihn lächelnd an. In seinem Innern rief es laut: Nein, nein! Wir verstehen uns nicht! Doch er öffnete die Lippe nicht, sondern zwang sie nur zu einem schmerzlichen Lächeln und ließ der Schwester die Hand, die sie freundlich ergriffen hatte. »Die schönen Rosenstöcke!« sprach er nach einer Pause; »und voller Knospen!«
»Es waren immer deine liebsten Blumen,« entgegnete Marie, erfreut, daß er den Blick gegen das Fenster wandte; »aber hier sind auch Nelken dazwischen. Und bilden sie nicht einen schönen Vordergrund zu der Landschaft dahinter? Schimmert die Elbe nicht silbern zwischen den Blättern hindurch, und die Abendsonne golden, und der Himmel blau oder gar purpurn, wenn ihn die untergehende Sonne rötet?«
»Purpur, Silber und Gold, und azurnes Blau, und smaragdenes Grün der Blätter – es klingt fast zauberhaft, wenigstens recht südlich italienisch. Aber du hast doch recht, Schwester, es ist gar schön hier«, entgegnete Ludwig in gesuchter Wendung, weil ihm die natürliche Erwiderung versagte.
Marie öffnete noch zwei Fensterflügel, um die mildkühle Maienluft das Zimmer recht durchströmen zu lassen. Ludwig trat, indem er den Arm um die Schwester schlang, mit ihr ans Fenster und blickte über den breiten glänzenden Strom dahin. Er blieb still, Marie gleichfalls; doch war ihr Schweigen das selige des vollen Genügens, der schönsten innern Befriedigung, seines aber das der verstummenden Qual. Hätte sie jetzt das Auge zu ihm emporgewandt, so würde sie es in seinen bleichen Zügen, in seinen düstern Blicken gelesen haben, daß seine Seele in schweren Kämpfen verschlossen ringe und dulde.
»Sprich mir von der Mutter, Marie,« begann er nach einigen stummen Minuten; »sie sieht ein wenig bleich aus, kränkelt sie bedenklich? Leidet sie wirklich an der Brust?« – »Der Arzt gibt uns ja die beste Hoffnung«, entgegnete Marie zutrauensvoll. – »Und wie lebt ihr sonst in dieser unruhigen Zeit? Ist die Mutter
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