1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
deren nächste Grenzdepartements idealisiert auf die Leinwand zu zaubern, was etwas Geld abwarf. Denn die Menschen lieben die Kunstwerke am meisten, wo sie ihre Natur am getreuesten wiederfinden. Was ich in der gebildeten Welt erworben hatte, beschloß ich in der Wildnis zu vertun, nämlich in Norwegen und Schottland, weil mir's schon lange in den Gliedern lag, an kalten nordischen Landschaften mein Herz zu wärmen. Ich kann dir sagen, Ludwig, ich habe etliche Seestürme, ein paar Felsen und Wasserfälle gemalt, die ihren Preis haben und vielleicht dreißig Silberlinge wert sind und darüber. Doch das beiläufig. Kaum war ich in London angekommen, als mir ein Brief von meinem Oheim nachkam, der mir allerlei wunderliches Zeug über meine Geburt, meine Eltern und dergleichen erzählte, das mich einen Augenblick in Harnisch brachte. Bald aber warf ich den Plunder, der eigentlich auf nichts hinauslief, als daß mein Vater ein Schelm war, der sich sein Lebtag nicht um mich bekümmert hat, aus allen Fenstern meines Herzens heraus. Denn ich hatte damals andere wichtigere Dinge zu denken als diese Gevattergeschichten. Ich war froh, daß ich meine Existenz eigentlich niemand zu danken hatte, und beschloß mehr als jemals, mir frei von der Welt zu ertrotzen und zu erobern, was ich haben wollte. Das war damals nicht wenig, Lieber, denn –«
Hier stockte er. Ludwig wiederholte: »Denn?«
»Teufel, hörst du den Kanonenschuß? Der Kaiser kommt! Sieh wie der Pöbel in Bewegung gerät! Wir gehören auch dazu, laß uns hinaus!« Mit diesen Worten sprang er auf und zog Ludwig nach, auf die Gasse hinaus.
Die Menge, die bisher ohne bestimmtes Ziel auf und nieder wogte und sich auch hier und da mehr in die Ferne verloren hatte, strömte jetzt von allen Seiten zusammen gegen das Wilsdruffer Tor zu. Es war schon fast ganz dunkel geworden; man zündete bereits die Laternen an, und auch die Feuerkörbe, die zur Erhellung der Straße besonders aufgestellt waren, wurden in Brand gesetzt. »Wir werden ein Nachtstück zu sehen bekommen,« sprach Bernhard, »das liebe ich. Nun der Kaiser bis jetzt nicht gekommen ist, wünschte ich aber auch, daß er noch eine Zeitlang ausbliebe, sonst leuchten weder Tag noch Feuerbecken hinlänglich, um sein Angesicht zu sehen.« Es war in der Tat blinder Lärm gewesen; man hatte einen andern Wagen für den des Erwarteten genommen. Die Massen zerstreuten sich daher wieder. »Ins dumpfe Mauerloch mag ich nicht zurück,« fuhr Bernhard fort; »laß uns nun auf den Gassen wandelnd zubringen.« Sie gingen in dem treibenden, wogenden Volksgedränge auf und nieder, das, von der rötlichen Feuerbeleuchtung halb bestrahlt, halb in das Dunkel der Nacht gehüllt, einen eigentümlichen Eindruck machte. »Ich freue mich nur,« sprach Bernhard, »wie ruhig der Maienhimmel mit seinen Sternchen sich über die unruhige Erde spannt, deren Getöse nicht bis zu ihm hinaufdringt. Aber horch! das Stimmengebrause wälzt sich näher und näher! Jetzt muß etwas vor sich gehen.« Er sprang auf den unbeachtet gebliebenen Steinvorsprung eines Hauses, der für zwei Raum hatte. »Dort kommt er«, rief Bernhard und deutete auf einen Wagen, hinter dem man viele Reiter erblickte, deren Säbel und Lanzenfähnlein im Feuerschein glänzten. Es war die polnische Nobelgarde, die den Wagen begleitete. Der Kaiser hatte sich in die Ecke gedrückt, und schien sich nicht zeigen zu wollen. Doch dicht vor dem Standpunkte Ludwigs und Bernhards beugte er sich, da der Zug durch einen Zufall aufgehalten wurde, vor, und man konnte sein von dem Flammenschein hell beleuchtetes Antlitz wahrnehmen. »Das ist er«, rief Bernhard leise. Ringsher wurde alles still, als habe das Auge des Mächtigen, der die Welt mit seinem Ruhm und Schrecken erfüllte, dieses ehrfurchtsvolle Schweigen geboten. Bernhard und Ludwig hielten die Blicke unbeweglich auf das Haupt des Kaisers gespannt. Erst als dasselbe verschwand und der Zug sich wieder vorwärtsbewegte, erwachte Ludwig wie aus einer Betäubung und wandte sich zu Bernhard um. Noch mehr als über sich selbst erstaunte er über diesen; denn der seltsame Mensch, der fast niemals den Ernst Herr über sich werden ließ, wenigstens ihn niemals zur Schau trug, stand jetzt einem Versteinerten ähnlich, die feurigen, düstern Blicke unbeweglich auf die Gegend gerichtet, wo der Kaiser verschwunden war. Ludwig ergriff ihn bei der Hand und rief ihn an: »Bernhard!«
Jetzt erwachte er und erschreckte fast. »Ja so!« erwiderte
Weitere Kostenlose Bücher