1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
bewegte die Seele auf ähnliche Art und wirkt noch überdies durch den Gegensatz der starren, einsamen Felskegel, der Abgeschiedenheit des ruhigen Himmels, so daß das Getöse des Wasserfalls selbst den Eindruck der Stille, den wir nur in der Ahnung empfinden, erhöhen kann.«
»Du sprichst wie ein Buch,« antwortete Bernhard, »wie Thales, ja wie Solon selbst, den ich höher stelle, weil er gute Gesetze für widerspenstige Menschen zu geben wußte, während jener nur die Gesetze der Natur mit einigem Glück studierte. Indessen du hast recht. Ich habe dergleichen in Schottland auch erlebt, zum Beispiel in der Fingalshöhle, wo ich stets dachte: Würde man nun wohl das hohle Brausen der See und des Windes hier hören, wenn es nicht so stille wäre wie in einer Herrnhuterkirche? Auch vor einem Wasserfall, in einer tiefen engen Felsschlucht, vor dessen Getöse man kein Wort verstehen konnte, mußte ich denken: hier ist es still wie im Grabe, nur daß der Strudel tobt und zischt. Und dies Gefühl ergriff mich besonders, da ich ein wildes Rosengebüsch auf dem Vorsprunge eines Felsen entdeckte; denn es hing die zarten Zweige und Knöspchen über den brausenden Abgrund hinaus, ohne nur im mindesten zu schwanken oder durch ein Lüftchen gewiegt zu werden, so ruhig war alles umher. Dieser Gegensatz des Zartesten gegen die ungeheuern Naturkräfte erhöhte meine Empfindungen ungemein. Etwas Ähnliches, zugleich aber auch etwas völlig anderes fühlte ich bei einer Feuersbrunst in Edinburg, wo ich in einem obern Stockwerk, welches die sausende Flamme ganz erfüllte und hoch daraus emporschlug, einen vergessenen Kanarienvogel in seinem Gitterkäfig in der Fensterhöhle hängen sah. Er glich dir einer Forelle im stürmenden Weltmeer! Aber, Goddam, da kommt ein schöner Kerl heran! Der sieht auch aus, als könne er Kaiser sein!« unterbrach er sich plötzlich und stieß Ludwig an, der kaum das Auge nach der Gegend richtete, als ihm Rasinski auch schon seinen Gruß entgegenrief und winkte.
»Sieh da, Freund!« redete er ihn mit einem freudig strahlenden Gesichte an; »nun kann man sich doch endlich einmal vernünftig begrüßen. Fünf bis sechs Tage sind nunmehr mein und einige davon, hoffe ich, werden wir wenigstens zusammen verleben. Indessen dürfen Sie mir Glück wünschen. Der Kaiser hat mir die Bildung eines leichten Regiments aufgetragen, das als Freikorps agieren soll und wobei mir die unbeschränkte Vollmacht in der Wahl meiner Leute und Offiziere gelassen ist. Eine herrlichere Stellung in der Armee konnte ich mir nicht träumen. Dreier Tage bedarf es etwa noch, damit ich alle die nötigen Ausfertigungen, Vollmachten und Anweisungen schriftlich erhalte, dann ordne ich das Nötige an und reise hierauf sofort nach Warschau ab, wo ich mir unter meinen polnischen Landsleuten meine Kameraden zu wählen gedenke.«
Bernhard hatte den schönen Polen unverwandt ins Auge gefaßt und sah ihn mit Blicken an, als wolle er ihn sogleich für ewig im Gedächtnis behalten. Rasinski schien dies seltsame Anstarren fast beleidigend zu finden, Ludwig suchte daher einer Reibung zu begegnen, indem er sie einander vorstellte. »Mein bester Jugendfreund, Bernhard, ein Maler; Graf Rasinski, den ich auf der Reise über den Sankt Gotthard kennen gelernt.«
»Ich hoffe, die Freunde eines dritten werden auch einander befreundet werden,« sprach Bernhard lebhaft; »schon nach mathematischen Grundsätzen ist dies notwendig.« – »Freilich, freilich,« erwiderte Rasinski lächelnd und ergriff Bernhards halb dargebotene Hand, »zwei Größen, die einer dritten gleich sind, sind einander gleich, indessen –« – »Hat der Satz für meinen Fall freilich ebensoviel gegen als für sich,« fiel Bernhard rasch ein; »das gestehe ich Ihnen vorweg zu; aber ich hoffe, das Recht zu behalten.« – »Nichts soll mich mehr freuen«, erwiderte Rasinski.
»Wollen Sie,« sprach Ludwig, »um die Wahrheit Ihres Satzes näher zu prüfen, heute beide meine Gäste sein? Ich habe,« fuhr er zum Grafen gewendet fort, »meiner Mutter bereits versprochen, Sie und unsere beiden jüngern Freunde in unser Haus einzuführen, wenn anders Sie meine Einladung in den ganz beschränkten Kreis einer bürgerlichen Häuslichkeit nicht verschmähen.«
»Was für seltsame Worte, junger Freund,« sprach Rasinski freundlich, indem er den Finger zu einer scherzhaften Drohung erhob; »Sie wissen, wie wir uns schon darauf gefreut haben. Und kann dem Soldaten, dessen Leben ein stetes
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