Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

Titel: 1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
Vom Netzwerk:
Er trug Jettes Brief mit der von einem hellgrünen Band zusammengehaltenen Haarsträhne immer noch bei sich und fragte sich, wie es ihr wohl ging – ohne zu ahnen, dass sie ihm gerade viel näher war, als er glaubte. In seiner Vorstellung lebte sie immer noch inmitten der vielen Bücher bei ihrem Oheim in Freiberg und dachte vielleicht an ihn, wenn sie Schiller las. Er hatte ihr Gesicht noch genau vor Augen, erinnerte sich sogar an ihre Stimme.
    Wohl zum hundertsten Mal las er ihre Worte, aus denen er Hoffnung schöpfte: »Ich denke in großer Zärtlichkeit an Sie und bete jeden Tag, dass Sie zurückkehren.«
    Du bringst mir Glück!, sagte er sich, während er das schon etwas brüchig gewordene Papier vorsichtig wieder zusammenfaltete und die Haarsträhne hineinlegte.
    Wenn wir gesiegt haben, werde ich mein Versprechen einlösen und dich zum Tanz führen. Schon deshalb kann mir morgen nichts passieren.
     
    An Henriette dachte auch Étienne de Trousteau, der seit der Auflösung von Oudinots Korps dem Vierten Korps von Bertrand zugewiesen war und dort das Kommando über einen Zug der jüngsten Rekruten führte. »Marie-Louisen« wurden sie genannt, weil die Kaiserin sie eingezogen hatte, obwohl sie eigentlich erst nächstes oder übernächstes Jahr wehrpflichtig wurden. Im Vergleich zu ihnen kam er sich mit seinen fast zweiundzwanzig Lebensjahren geradezu alt vor. Wie unerfahren sie waren, obwohl er keine Minute verstreichen ließ, ohne sie auszubilden! Und völlig erschöpft, weil sie so lange, schnelle Märsche und das Biwakieren unter freiem Himmel nicht gewohnt waren.
    In Wiederitzsch im Norden Leipzigs lagerte er mit seinem Zug und war in Gedanken ganz bei Henriette.
    Mit all seinem Werben, selbst auf dem Ball hatte er sie nicht für sich gewinnen können. Und dann hatte sie sich ihm beim Abschied plötzlich hingegeben, sich ihm geschenkt, obwohl sie noch unberührt gewesen war. Er verstand immer noch nicht ganz, wie ihm dieses Wunder widerfahren konnte. Wie weich sie war, wie sanft, wie zärtlich …
    Wenn er das hier überlebte, würde er sie auf der Stelle heiraten und mit nach Frankreich nehmen.
    Vielleicht hielt sie ja gerade jetzt sein Eheversprechen in Händen und malte sich ihre gemeinsame Zukunft aus? Falls sie schwanger war, konnte auch sein Vater nichts dagegen einwenden, dass er die Verantwortung dafür übernahm. Bei seiner Mutter, die ganz andere Hochzeitspläne für ihn hatte, würde Henriette vermutlich einen schweren Stand haben. Aber wenn erst ein Kind da war …
    Er warf einen Blick auf die jungen Burschen seines Zuges, die ums Feuer saßen und in irgendeinem Essen rührten, das merkwürdig roch – wahrscheinlich nur ein paar Kohlstrünke, die sie ausgegraben hatten. Er hörte sie reden, manche leise, wortkarg, andere prahlerisch, und er sah die Furcht in ihren Gesichtern.
    Einer von ihnen kostete von dem Eintopf und spie ihn angewidert aus. Da konnte etwas nicht stimmen. Sie waren so hungrig, dass sie nahezu alles essen würden.
    »Der will uns vergiften!«, kreischte ein dürrer Rotschopf mit Sommersprossen. »Seht euch doch mal an, was hier im Eimer schwimmt!«
    Étienne de Trousteau stand auf, wies seine Infanteristen an, vorerst nicht zu essen, und ließ sich von dem Koch die Wasserstelle zeigen. Der Junge war nicht weit gelaufen und hatte nicht gesehen oder nicht sehen wollen, dass nur ein paar Schritte entfernt ein aufgeblähter Pferdekadaver im Wasser lag.
    Der Premier-Lieutenant befahl ihm, alles Wasser und das daraus zubereitete Essen wegzuschütten, nach einer sauberen Wasserstelle zu suchen und alle Utensilien zu reinigen.
    An die anderen ließ er die letzte Ration Zwieback austeilen. Damit Mutlosigkeit und Angst sie nicht wieder überwältigten, befahl er ihnen nach dem kargen Mahl, in Linie anzutreten, und ließ sie bis zum Beginn der Nachtruhe exerzieren. Die Kommandos und Handgriffe beim Laden mussten so in Fleisch und Blut übergehen, dass sie damit vollkommen beschäftigt waren und gar nicht erst zum Nachdenken über ihre Angst und den Tod kamen.
    Einen nach dem anderen betrachtete er dabei und fragte sich, wie viele von ihnen morgen um diese Zeit wohl noch leben würden.
    Erst als das Signal zur Nachtruhe ertönte und seine »Marie-Louisen« um den besten Platz am Feuer stritten, ehe sie sich auf dem kalten Erdboden niederlegten, konnten seine Gedanken wieder zu Henriette fliegen.
     
    Nach seiner Frau sehnte sich an diesem Abend auch Lucien Junot, Lieutenant de vaisseau

Weitere Kostenlose Bücher