1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Unterauerswalde noch einmal die zwei Eichenlaubblätter aus Messing vom Helm seines in Russland gefallenen Offiziers hervor und rieb sie vorsichtig blank. Dann wickelte er sie wieder ein, schloss die Augen und sprach ein Gebet für diesen Toten und alle seine Kameraden, die in Russland gestorben waren: im Kugelhagel gefallen, verhungert, erfroren, in der eisigen Beresina ertrunken.
Er dankte Gott dafür, ihn am Leben gelassen zu haben, und bat ihn inbrünstig, auch am morgigen Tag Seine schützende Hand über ihn zu halten.
Es war ein weiter Weg von Moskau bis hierher, sinnierte der einstmals sächsische und nun russische Generalleutnant Johann Adolph von Thielmann . Sein Streiftrupp und auch der des Grafen Mensdorff waren dem österreichischen Korps Gyulai zugeordnet worden, um an der Entscheidungsschlacht teilzunehmen, und gegen Abend vor Leipzig eingetroffen.
Thielmann hatte seiner Frau schon am Vortag geschrieben.
Bevor er mit seinem Korps zum »Kleinen Krieg« aufbrach, hatten er und Wilhelmine in Teplitz endlich wieder etwas Zeit miteinander verbringen können. Und dabei erkannte er mit Sorge, wie sehr die Ereignisse der letzten Monate und die ständige Angst um ihn und ihren ältesten Sohn Franz, der nun auch in der russischen Armee diente, seine Frau zermürbt hatten. Damit sie nicht vollkommen in Schwermut versank, schrieb er ihr, sooft er konnte. Er hoffte, dass diese Zeilen sie ein wenig aufrichteten: »Das Glück ist mir sehr günstig gewesen, ich habe mich immer glücklich geschlagen und bin von meinem Kaiser und dem König mit Gnaden überhäuft.«
Vom preußischen König wohlgemerkt, der sächsische hatte ihn ja verstoßen. Für die gewagten und erfolgreichen Streifzüge im September erhielt er von Friedrich Wilhelm von Preußen den Roten Adlerorden 1 . Klasse, Zar Alexander zeichnete ihn mit dem Orden des Heiligen Georg für Tapferkeit im Krieg aus.
»Das arme Sachsen leidet unendlich«, schrieb er weiter. »Gott wird helfen. Alle unsere Armeen sind nun vereinigt, und bald muss der letzte Schlag geschehen, der Deutschland die Freiheit und der Welt Ruhe geben wird.«
Während er über den kommenden Tag nachsann, setzte vor seiner Unterkunft eine lautstarke Diskussion ein.
Das störte ihn. Normalerweise hielt sein Adjutant zuverlässig jedwede Behelligung von ihm fern. Also trat er hinaus, um zu erfahren, was dort vor sich ging.
»Exzellenz, hier ist jemand, der sich nicht abweisen lassen will. Ein freigelassener Kriegsgefangener, der sich zur Deutsch-Russischen Legion gemeldet hat. Aber er besteht darauf, unter Ihrem Kommando zu dienen«, meldete der Adjutant.
Thielmann musterte den mageren jungen Mann.
Der nahm sofort Haltung an und salutierte.
»General, Euer Exzellenz! Wilhelm Tröger von der Reitenden Artillerie, Batterie Hiller. Wenn ich schon auf russischer Seite und gegen meine eigenen Landsleute in diese Schlacht ziehe, dann nur unter Ihrem Kommando.«
Nun erkannte Thielmann das Gesicht, das um zwanzig Jahre gealtert schien. »Es gibt also doch einen Überlebenden der Batterie Hiller!«, stellte er freudig überrascht fest.
Dann befahl er: »Kanonier Tröger, Sie melden sich bei meinem Kapitän der Artillerie. Und hören Sie auf diesen Rat: Sie sollten heute noch einen Brief an Ihre Mutter schreiben.«
Darüber staunte nun Wilhelm Tröger.
Wilhelms jüngere Brüder Karl und Anton waren inzwischen der sächsischen Armee in Reyniers Siebentem Korps zugewiesen worden und noch auf dem Marsch von Düben nach Leipzig.
»Morgen, Kleiner, morgen werden wir es den Russen zeigen«, sagte Karl hasserfüllt in einer der kurzen Pausen. »Morgen werden wir uns an ihnen dafür rächen, dass sie unsere Brüder totgeschlagen haben. Ich bete dafür, dass sie uns dahin schicken, wo wir Russen vor uns haben.«
Anton sagte nichts, sondern schlug nur einen kurzen Trommelwirbel.
Auch Charles-Nicolas Oudinot, Herzog von Reggio und Marschall von Frankreich, konnte die bevorstehende Schlacht kaum erwarten. Endlich bot sich die Gelegenheit, die Schmach abzuschütteln und zu zeigen, was er wert war!
Es hatte ihn schwer gekränkt, von Napoleon die Schuld an der Niederlage von Großbeeren vor Berlin zugewiesen zu bekommen. Und noch tiefer kränkte es ihn, den Oberbefehl über die Berlin-Armee, den er gar nicht hatte haben wollen, an Ney abgeben zu müssen und dem Verhassten unterstellt zu werden.
Der Kaiser glaubte natürlich, dass sein Liebling Ney Berlin mit Leichtigkeit einnehmen würde.
Weitere Kostenlose Bücher