1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Abendmahlzeiten einzunehmen.«
»Also muss die Tante das Silberbesteck aus dem Versteck holen?«, fragte sie, als gäbe es im Augenblick keine anderen Sorgen.
»Ja, das auch, sonst würden sie es als Beleidigung auffassen. Deinen Bruder und Eduard schicken wir zum Essen in die Küche, damit sie sich nicht verplappern. Nelli verstecken wir am besten auch gleich in der Küche, damit ihr nichts passiert. Aber dich können wir jetzt nicht mehr verbergen. Sie werden darauf bestehen, dass du mit am Tisch sitzt. Jette, Kind, nach allem, was du durchgemacht hast … Ich bin in Sorge. Wirst du das aushalten? Vielleicht ist es ja nur für ein paar Tage …«
Jette zuckte hilflos mit den Schultern.
»Ich habe doch keine andere Wahl, wenn wir da alle durchkommen wollen.«
Vor brennenden Lunten
Torgau, 7 . Mai 1813
E s war kurz vor drei Uhr nachmittags, als auf den vorderen Festungswerken Torgaus Alarm geblasen wurde.
»Exzellenz, von Westen nähern sich Truppen über den Hügel, weitere stehen zwei Meilen südlich der Stadt«, meldete ein atemloser Sergeant. »An allen unseren Geschützen wie befohlen Kanoniere mit brennenden Lunten.«
»Gut«, konstatierte Generalleutnant von Thielmann grimmig. »Von Aster, Sie haben das Kommando über die Festung, falls ich nicht wiederkehre. Gott steh uns allen bei!«
Die Abteilung Reiter, die ihn begleiten sollte, hatte er bereits ausgewählt. Es war schwierig gewesen, in so kurzer Zeit wieder eine sächsische Kavallerie aufzustellen, aber auch das hatte er geschafft.
Die Menschenmenge auf dem Schlosshof wich zurück, um den Reitern Platz zu machen. Wohl jeder hier wusste, was draußen vor sich ging und was auf dem Spiel stand. Der Gouverneur war ihr Held – ein Held, der sie vor den Franzosen bewahrte und für Sachsens Unabhängigkeit eintrat.
Der Generalleutnant warf noch einmal einen kurzen Blick hinter sich, wusste seine Männer sicher und gelassen im Sattel und ritt an. Segenswünsche wurden ihm zugerufen, aber das nahm er kaum wahr. All seine Gedanken richteten sich auf die bevorstehende Begegnung und deren mögliche Folgen. Vielleicht würde in wenigen Minuten schon ein blutiger Kampf um Torgau entbrennen.
Während die Reiterschar die überfüllte Stadt passierte, schien das sonst hektische Leben in den Gassen zu erstarren und zu verstummen. Hunderte Augenpaare folgten dem Festungskommandanten und seiner Eskorte, unzählige Gebete wurden geflüstert. Wie viele Geschütze die Franzosen wohl mit sich führten?
Zufrieden sah Thielmann seine Artilleristen in straffer Haltung an den Kanonen stehen, passierte das schwer bewachte Leipziger Tor und ritt mit seinen Begleitern hinaus zu einer Wiese südwestlich der zur Festung umgebauten Stadt, zwischen der Bergeltschen Windmühle und dem Entenfang am Großen Teich.
Hier hatte er sich mit General Reynier verabredet. Auf den Anhöhen sah er schon das provisorische Lager der Franzosen entstehen.
Reynier galoppierte ihm entgegen, ebenfalls von einer Reiterabteilung eskortiert. Hinter ihnen waren über die gesamte Breite des Feldes französische Infanteristen in Linie angetreten und legten nun die Gewehre auf die Herannahenden an.
Der sächsische und der französische General ritten aufeinander zu und begrüßten sich kühl. Sie verständigten sich mit einem Blick, stiegen aus dem Sattel und gingen zu einem Platz hundert Schritt von ihren Begleitern entfernt, um unbelauscht reden zu können.
Die französischen Infanteristen hielten weiter ihre Gewehre im Anschlag, die sächsischen Kanoniere ihre Geschütze zum Feuern bereit.
»Stimmt das Gerücht, dass Sie Marschall Davout glattweg verweigerten, seine Truppen in die hiesige Garnison aufzunehmen und ihm die geforderten Geschütze für die Festung Wittenberg zu übergeben? Ihm sogar gedroht haben, mit Kanonenkugeln zu antworten?«, eröffnete Reynier das Gespräch, wobei er die Augenbrauen hochzog und den Mundwinkel zu einem kaum sichtbaren ironischen Lächeln herabzog.
»Das wissen Sie doch«, erwiderte Thielmann knapp.
»Und dass Sie ihm angesichts seines maßlosen Zorns antworteten, sie fürchten nur Gott, sonst niemanden?«
»Auch das trifft zu.«
Nun wurde Reyniers Lächeln deutlicher. »Ausgerechnet Davout, dem ›Eisernen Marschall‹? Glückwunsch, damit haben Sie es geschafft, in die Legenden der Grande Armée einzugehen! In meiner Gegenwart entrüstete er sich, sie sprächen ja wie ein preußischer General.«
»Ich erlaube mir, dies angesichts der Leistungen
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