1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
zu lassen«, wiederholte Thielmann stur.
Reynier neigte den Kopf leicht zur Seite und fuhr mit einem Finger kurz unter den steifen, goldbetressten Kragen.
»Ich lasse Ihnen das lediglich durchgehen wegen Ihres Heldenmutes in Borodino«, entschied er. »Und weil es, wie Sie genau wissen, lediglich eine Frage von zwei oder drei Tagen ist, bis Ihr König diesen Befehl widerruft. Gott schütze Sie.«
Mit einem knappen Nicken verabschiedeten sich die beiden Männer voneinander und gingen zurück zu ihren Reiterabteilungen.
Ohne sich vom Fleck zu bewegen, sahen die Sachsen zu, wie Reynier und seine Begleiter zum Lager auf dem Hügel ritten.
Keiner der beiden Befehlshaber fühlte sich als Sieger.
Reynier würde umgehend Marschall Ney vom Scheitern der Verhandlungen berichten müssen. Er hatte keinen Zweifel daran, dass Ney von diesem sächsischen Starrkopf eine ähnliche Abfuhr wie Davout und er erteilt bekommen würde.
Und Thielmann wusste, dass Reyniers letzte Andeutung nicht nur so dahingesagt war. Er hatte in den letzten Tagen schon Depeschen an Fürst Wolkonsky, den Chef des russischen Generalstabes, an Hardenberg, Kleist und vom Stein geschickt, den Berater des Zaren, in denen er auf seine verzweifelte Lage hinwies, außerdem Kuriere an den König, die den Ausgang der Schlacht bei Großgörschen und die Lage der Alliierten in günstigem Licht darstellen sollten.
Doch nun war wohl die Zeit vorbei, in der er und seine Verbündeten hoffen durften, der König würde es weiterhin wagen, Napoleon die Stirn zu bieten.
Von dem Jubel, mit dem ihn die Torgauer begrüßten, als er wieder in die Stadt einritt, die er für diesen Tag davor bewahrt hatte, den Franzosen in die Hände zu fallen oder gar zerstört zu werden, bekam Johann Adolph von Thielmann kaum etwas mit.
Wie lange noch? Das war alles, was er jetzt denken konnte.
Appell an den König
Prag, 8 . Mai 1813 , Exilresidenz des sächsischen Königs im Erzbischöflichen Palais der Prager Burg
E rneut warf der sächsische König Friedrich August I., den man »den Gerechten« nannte, einen Blick auf die goldene Taschenuhr.
Er ließ noch drei Minuten verrinnen und nutzte die Zeit, um sich prüfend im Wandspiegel zu betrachten: ein hageres Gesicht mit scharf geschnittenen Zügen und markanter Nase, ein unnachgiebiger Blick, buschige, dunkle Augenbrauen, die stark mit der weißen, straff frisierten Perücke auf seinem Kopf kontrastierten. Die Schärpe saß exakt, die goldenen Fransen an den Epauletten waren aufs genaueste ausgerichtet.
Nach Ablauf der drei Minuten wies er an, den Oberst von Carlowitz einzulassen, den er draußen im Vorsaal sieben Stunden auf seine Audienz hatte warten lassen. Leider blieb die Hoffnung des Königs unerfüllt, der lästige Besucher würde gehen, bevor er ihn nun aus reinem Pflichtgefühl empfing. Er trägt einen Orden, den St.-Heinrichs-Orden für Tapferkeit im Kriege, also muss er ein verdienstvoller Mann sein, sagte sich der Regent, ohne zu bedenken, dass er selbst es war, der diesen Orden verlieh.
Dem Wartenden dürfte schwerlich entgangen sein, dass der Herrscher in dieser Zeit weder irgendwelche wichtigen Besprechungen führte noch Besucher empfing.
Friedrich August von Sachsen war allein bis auf die Dienerschaft, und am liebsten würde er auch allein bleiben.
Fünfzig lange Jahre regierte er nun schon das Land. Oder fünfundvierzig, rechnete man die ersten Jahre nicht mit, als er noch unmündig war und seine Mutter und sein Onkel ihn vormundschaftlich vertraten. Er hatte Sachsen durch schwere Zeiten geführt, mit Sparsamkeit und bedachtem Handeln sogar geschafft, dass das Land die Schäden und harten Kontributionen an Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg überwand. Aber diesmal schien die Lage schlichtweg ausweglos.
Sicher, seine Geheime Polizei beteuerte, seine Sachsen stünden treu zu ihrem König. Aber sie waren kriegsmüde und wollten nicht mehr unter französischem Protektorat leben.
Doch was sollte er tun? Er hatte Napoleon Gefolgschaft geschworen, vor Gott einen heiligen Eid darauf geleistet, und sein Wort durfte er nicht brechen.
Das war der Preis dafür, dass Sachsen nach der Niederlage von Jena und Auerstedt vor sieben Jahren nicht wie Feindesland behandelt wurde. Sachsen und die Pracht Dresdens blieben erhalten, während Friedrich Wilhelm von Preußen für lange Zeit seinen Hof an den letzten Winkel des Landes verlegen musste, nach Memel, und später nach Königsberg.
Ohne das geringste äußere Zeichen
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