1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
den Alliierten wollen«, ermahnte Eduard ihn. »Die Trögers sind alle kaisertreu, bis auf Lisbeth vielleicht. Die haben vier Jungs in Napoleons Armee geschickt und sind noch stolz darauf.«
»Ich merk’s mir«, meinte Franz. Daran durfte ihr Plan nicht scheitern. Beim Reiten dagegen fühlte man sich viel älter und stärker. Und
einen
Franzosen hatte er ja schon beinahe erschlagen. Zumindest war er dabei gewesen, als seine Schwester einen erschlug. Das hatte nicht besonders schwierig ausgesehen.
An diesem sonnigen Nachmittag im Mai war es still in der Buchhandlung. Noch hatte nicht ein Besucher den Laden betreten, und Jette kam es so vor, als sei das der einzige stille Ort in der von Militärs wimmelnden Stadt.
Hier, in dieser köstlichen Stille, konnte sie sich ganz ihren Gedanken hingeben. Zwar gab es zwischen diesen vier Wänden nichts außer den Büchern, das sie von ihren Nöten ablenken konnte. Doch wenn sie die Tür schloss, hatte sie wenigstens die Illusion, ihre Sorgen und Ängste draußen auf dem Marktplatz zu lassen.
Das war Jettes liebste Zeit am Tag. Allein inmitten der Bücher fühlte sie sich geborgen. Denn jeder französisch Uniformierte, dem sie begegnete, rief in ihr die Erinnerung an das Schreckliche zurück, das sie getan hatte. War es wirklich Notwehr gewesen?
Ich habe meine Unschuld verloren, dachte sie immer wieder. Zwar nicht im üblichen Wortsinn, sie hatte ja noch nicht einmal einen Mann geküsst in ihrem jungen Leben. Aber sie hatte diese große Schuld auf sich geladen, und nun war sie kein reiner Mensch mehr. Nie würde alles wieder gut werden.
Vorhin hatte sie sich bei einem flüchtigen Blick aus dem Fenster fast zu Tode erschrocken, weil nur ein paar Schritte entfernt ein Soldat mit einer Kopfwunde am Haus vorbeilief und sie dachte, es sei derjenige gewesen, den sie erschlagen hatte. Dabei konnte das nur ein Hirngespinst sein. Verlor sie langsam den Verstand?
Manchmal flogen ihre Gedanken auch zu dem jungen preußischen Premierleutnant, der als Letzter die Stadt verlassen hatte. Maximilian. Maximilian Trepte, flüsterte sie seinen Namen. Ob er noch lebt? Hat er es geschafft, zu seinem Regiment zurückzukehren? Oder ist er den Feinden in die Hände gefallen und in seinem weißen Hemd erschossen worden? In Gedanken sprach sie ein Gebet für ihn.
Ob in seiner Heimat wohl eine hübsche junge Frau auf ihn wartete?
Tanzen wollte er mit ihr. Aber das waren Fieberphantasien. Er war weit fort und vielleicht schon tot. Sie würde nie tanzen können, solange Krieg herrschte.
Wehmütig strich sie über den Einband eines druckfrischen Buches und überlegte, wie ihr Vater ihn gestaltet haben würde. Er hatte es meisterhaft verstanden, jedem Buch das passende Äußere zu verleihen; bei besonders schönen Werken verwendete er feines Leder, arbeitete goldene Ornamente ein, manchmal auch eine kleine Schließe, sogar mit seidenen Tapeten hatte er schon Bücher gebunden. Doch für solche Kostbarkeiten waren die Zeiten zu schlecht.
Du fehlst mir so, Vater, dachte sie. Du und Mutter. Ich hoffe, es geht euch gut dort, wo ihr jetzt seid, und ihr seid wieder vereint.
Der Klang des Ladenglöckchens riss sie aus ihren düsteren Gedanken. Zwei junge Männer traten ein.
Es waren Felix, der schmächtige bebrillte Bergstudent aus Anhalt-Köthen, und sein breitschultriger preußischer Freund Richard. Die zwei Studenten Professor Werners, die zusammen mit Ludwig und ihr noch bis zum Einrücken der Franzosen die preußischen Verwundeten versorgt hatten.
Seitdem waren sie beinahe jeden Tag in die Buchhandlung gekommen, hatten mit ihr geplaudert, nach angekündigten Neuerscheinungen gefragt und die Bücherregale durchstöbert. Jette schien, dass es ihnen weniger um die Bücher ging, auch wenn sich die Unterhaltung nur darum drehte, und dass der schüchterne Felix immer wieder ein paar Anstöße von seinem großsprecherischen Studiengefährten brauchte, um ihr gegenüber überhaupt ein paar Worte herauszubringen.
Heute war er festlich angezogen; er trug den Bergkittel, die schwarze Paradejacke der Bergstudenten. Unter dem Arm hielt er eine schmale Mappe geklemmt. Die legte er nun wie einen Schatz auf den Ladentisch und räusperte sich.
Wieder gab ihm Richard einen Knuff in den Rücken, und um nicht wie der letzte Tölpel dazustehen, riss sich Felix zusammen, grüßte höflich, wobei er seine Mütze abnahm, und fragte: »Ist der vierte Teil von Agricolas mineralogischen Schriften in der Lehmannschen
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