1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
meinte der Seconde-Lieutenant vorwurfsvoll.
»Es lag wohl eher an den Tagen der Schreckensherrschaft, dass er nie nach Paris kam. Schiller verabscheute die Massenhinrichtungen«, warf Friedrich Gerlach ruhig ein, der an diesem Punkt nicht zu diplomatischen Lügen bereit war. Es war ohnehin kein Geheimnis.
»So sind die Künstler – viel zu empfindlich!«, erklärte der Major verächtlich. »Wie dieser Beethoven. Widmet eine Sinfonie Napoleon, und dann zerreißt er das Titelblatt, weil ihm etwas nicht passte. Die Republik war in Gefahr! Da heißt es, lieber tausend Unschuldige auf die Guillotine schicken als einen Schuldigen davonkommen lassen. Und schließlich bekam jeder seinen Prozess.«
Schauprozesse, deren Urteile von vornherein feststanden, dachte Jette wütend; eine einfache Denunziation genügte. Und die Revolution erstickte in Blut.
Der Major schien ihr etwas davon am Gesicht abzulesen, denn er warf die Serviette beiseite und rief verärgert: »Schon wieder sind wir bei der Politik! Es ist heutzutage eine zweischneidige Sache mit der Literatur. Ich habe mir einmal übersetzen lassen, was dieser Ernst Moritz Arndt schreibt, dem ihr Deutschen so begeistert zujubelt. Sie sehen, Monsieur Gerlach, ich verurteile nicht blind, ich befasse mich damit. Arndt beleidigt uns Franzosen. Er stellt uns als Barbaren hin und ruft dazu auf, uns zu hassen. Finden Sie das in Ordnung, Demoiselle Henriette? Lesen Sie Arndt? Hassen Sie Frankreich?«
»Ich spreche Ihre Sprache – wie könnte ich Frankreich hassen?«, fragte Jette mit einer Gelassenheit zurück, über die sie selbst staunte.
»Eine löbliche Einstellung! Ich wünschte mir wirklich, mehr von Ihren Landsleuten würden sie teilen«, erwiderte der Major streng.
Hektisch gab die besorgte Johanna Nelli das Zeichen, die Suppenteller fortzuräumen und den Hauptgang aufzutragen. Es hatte sich als unmöglich erwiesen, das junge Dienstmädchen mit den roten Haaren vor den vielen Männern verbergen zu wollen. Aber Nelli schien auch keinen großen Wert darauf zu legen. Mit einem frisch gestärkten Häubchen und neugierig hin und her huschenden Augen begann sie, den Gästen die Teller zu füllen.
Genau in diesem Moment setzte im Dom Orgelspiel ein. Jemand begann, Bachs Toccata und Fuge zu spielen.
»Ein wunderbares Instrument, diese Orgel, das hört man selbst durch die Fenster«, lobte der Major. »Ein Meisterwerk. Hat nicht ein Franzose sie erbaut?«
»Nein, ein Sachse namens Silbermann vor beinahe einhundert Jahren«, korrigierte Friedrich Gerlach höflich. »Aber er verbrachte seine Lehrjahre in Strasbourg.«
»Ah, Strasbourg! Eine wunderbare Stadt, die immer Künstler angezogen hat, die Geburtsstadt der Marseillaise«, schwärmte de Trousteau. »Selbst Ihr Goethe hat dort studiert. Sehen Sie, sogar so weit entfernt von Frankreich finden Sie mit dieser Orgel ein Stück französischer Kultur.«
»Silbermann hat französische Elemente des Orgelbaus übernommen. Doch er fügte Eigenes hinzu und schuf damit etwas völlig Neues.
Das
macht das Besondere seiner Orgeln aus.«
Diese kleine Spitze konnte sich Henriette nicht verkneifen. Um sie zu verharmlosen, ergänzte sie rasch: »Die hier im Freiberger Dom ist die schönste. Andere schätzen die in der Dresdner Frauenkirche besonders, sein letztes Werk. Sobald Sie nach Dresden kommen, sollten Sie sich selbst ein Urteil bilden.«
Es schien ihr ausgeschlossen, dass der Major und sein Sohn
nicht
nach Dresden kommen würden. Wer sollte sie aufhalten, da die Alliierten immer noch auf dem Rückzug waren?
Johanna in ihrem besten Kleid atmete erleichtert auf, dass die Unterhaltung endlich in harmlose Bahnen geriet. Noch nie hatte sie sich für den alten Silbermann, der ganz in der Nähe vierzig Jahre lang seine Werkstatt gehabt hatte, mehr erwärmt als in diesem Moment. Doch sie freute sich zu früh.
Der Major warf einen kurzen Blick auf seinen üppig gefüllten Teller, wedelte sich mit der Hand den köstlichen Duft der Sauce zu, zeigte ein kurzes, genüssliches Lächeln und schnitt ein Stück Fleisch ab. Doch vor dem ersten Bissen legte er Messer und die Gabel mit dem Kaninchenfleisch noch einmal auf dem Tellerrand ab und redete sich in Schwung.
»
Wir
sind es, Frankreich ist es, die Kultur und Fortschritt nach Europa bringen. Den Geist der Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit! Ist es nicht das, wonach Ihre deutschen Dichter und Denker rufen? Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich, die Leibeigenschaft
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