1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
entgegen.
»Wenn Sie erlauben, zeige ich es Ihnen. Es ist ganz leicht, ich führe Sie. Vertrauen Sie sich mir an, und alles wird wie von selbst gehen.«
Jette warf einen bestürzten Blick zu ihrem Onkel, der mit einer zustimmenden Geste antwortete, auch wenn er nicht glücklich dabei wirkte. Der Major hatte eine höfliche Bitte geäußert, und es gab keinen höflichen Weg, sie abzuschlagen.
Vollkommen verunsichert ließ sich Jette hochziehen. Wo sollte sie hier Walzer tanzen? Der Salon war vollgestopft mit dem Gepäck des Majors.
Dieser schien ihre Gedanken zu erraten. »Für den richtigen Walzer mangelt es an Platz. Aber ich zeige Ihnen eine Variation dazu, schon im Dreivierteltakt …«
Er begann, eine Melodie zu singen, und Jette musste zugeben, dass er eine schöne Singstimme besaß, klar und kraftvoll. Aus dem Augenwinkel sah sie zu Étienne, der sich auf seinem Stuhl halb herumgedreht hatte, um nichts zu versäumen.
»Die Paare stehen im Doppelkreis; die Männer innen, die Frauen außen«, erklärte der Major und deutete den Kreis mit einer Armbewegung an. »Stellen Sie sich mit dem Rücken zu mir. Kreuzen Sie Ihre Arme und fassen Sie mit Ihrer linken Hand meine Rechte und umgekehrt.«
Das war eine Position, in der sich Jette sehr unwohl fühlte. Im Rücken spürte sie die Uniformknöpfe der Jacke des Majors, und sie war von ihren eigenen Armen gefangen, weil ihr Tanzpartner sie nicht losließ.
»Und jetzt wiegen … nach links, nach rechts …«
Wieder sang und summte er die Melodie dazu, sehr eingängig und klar.
Doch Jette wurde es immer unbehaglicher. Die unter der Brust gekreuzten Arme schoben ihr Dekolleté nach oben und betonten es viel mehr, als ihr lieb war, und sie hatte das Gefühl, dass die Augen des Majors, der so eng hinter ihr stand und ihre Hände festhielt, genau darauf gerichtet waren.
»Jetzt drehen, nun stehen wir uns gegenüber und schauen uns an, an beiden Händen gefasst, gehen vier kleine Schritte nach rechts im Kreis, vier Schritte nach links … und eindrehen …«
Nun stand sie wieder mit dem Rücken an seiner Brust und war von ihren eigenen Armen gefangen.
Hölzern blieb Jette stehen, den Tränen nah vor Scham.
»Es tut mir leid, ich kann das nicht. Und es ist … nicht die rechte Zeit, um zu tanzen. Verzeihen Sie mir! Ich bin heute so traurig, weil eine gute Frau die Nachricht vom Tod ihrer Söhne erhielt.«
Mit gesenkten Lidern stand sie da und erwartete, dass ein Donnerwetter über sie hereinbrach.
Unerwartet kam ihr Étienne zu Hilfe. »Henriette ist müde. Und Sie bringen sie schon wieder in Verlegenheit, Vater!«
Er stand auf, reichte ihr die Hand und schob ihr den Stuhl zurecht, damit sie sich setzen konnte.
»Nun, wir werden Abhilfe schaffen«, erklärte der Major. »Es wird doch in dieser Stadt einen Tanzlehrer geben?«
Er sah zu Johanna, die gehorsam nickte.
»Ich werde ihn genau instruieren. Die Demoiselle soll auf meine Einladung und meine Kosten Walzer tanzen lernen. Ich dulde kein Nein!«, sagte er in scherzhaftem Ton und hob den Zeigefinger. »Gönnen Sie mir die Freude. Ich möchte Sie mit meinem Sohn im Walzertakt durch den Ballsaal schweben sehen. Und vielleicht hätten Sie die Güte, mir den dritten Tanz zu reservieren.«
Jette zog hilflos die Schultern hoch.
»Es ist spät, beenden wir den Abend. Ich danke Ihnen«, erklärte der Major.
Erleichtert wollte sich Jette von ihrem Platz erheben. Étienne, der schneller aufgestanden war, reichte ihr die Hand und half ihr auf.
»Madam, Monsieur, Demoiselle, ich wünsche Ihnen eine gute Nacht!«, sagte der Major. Sein Sohn schloss sich diesen Wünschen an.
Die Gerlachs erwiderten den Gruß. Jette dachte schon erleichtert, jetzt sei es überstanden, als der Major plötzlich rief: »Monsieur, beinahe hätte ich es vergessen. Ich habe noch diese Bekanntmachung, die muss in Ihre nächste Ausgabe. Plazieren Sie sie an guter Stelle!«
Er nahm ein Blatt von einem Stapel Papiere auf der Anrichte und übergab es Friedrich Gerlach.
Dazu aufgefordert, las dieser den Text vor.
»Nachricht an alle Deutsche. Als der Kaiser Napoleon am 29 . April zu Gotha eintraf, benutzte die Hofrätin Becker diesen glücklichen Augenblick, um sich Seiner Majestät zu Füßen zu werfen und die Befreiung ihres Mannes, der bekanntlich als Staatsgefangener zu Magdeburg sitzt, zu erbitten; der gütige Monarch gewährte auf der Stelle ihr Gesuch.«
»Ein weiterer Beweis unseres guten Willens. Selbst den Feinden gewähren wir
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