1815 - Die Wiege des Teufels
grauen Wänden Schilder hingen.
Suko nickte mir zu und fragte: »Na, bist du fündig geworden?«
»Noch nicht.«
»Wen suchst du denn?«
»Ein hohes Tier, das weißt du.«
»Der Bürgermeister sitzt in der ersten Etage. Habe ich auf einem Schild gelesen. Bei ihm zeigt der Pfeil nach oben.«
Das Schild hatte ich noch nicht entdeckt.
»Kennst du noch den Namen?«, fragte ich.
»Ja. Andy Vargas.«
»Aha, er scheint spanische Wurzeln zu haben.«
»Möglich.«
Wir nahmen die Treppe und waren ziemlich flott oben in einem breiten Gang, der von Licht nahezu überflutet wurde, das aber nicht blendete. Es gab die Kaffee-, Wasser- und Saftecke.
Es interessierte uns nicht, wir suchten nach Andy Vargas, den Bürgermeister.
Sehr bald schon hatten wir sein Büro gefunden. Das heißt, sein Vorzimmer, das sicherlich von einer sehr strengen Sekretärin bewacht wurde. Wir waren höflich, klopften an und erhielten keine Antwort. Deshalb betraten wir das Vorzimmer, sahen einen zweite, halb offen stehenden Tür und hörten aus dem Nachbarraum das Lachen einer Frau.
Es war ein bestimmtes Lachen. Eines, das Frauen manchmal ausstießen, wenn sie verführt wurden. Es war lockend und ablehnend zugleich.
Suko und ich schauten uns an. »Sollen wir stören?«, fragte er und grinste breit.
»Dafür sind wir gekommen.«
Wir hörten wieder das Lachen. Recht schnell gingen wir auf die zweite Tür zu und warfen einen Blick in den Raum dahinter. Es war das Büro des Chefs. Er war auch da, saß auf seinem Stuhl und strich mit beiden Händen über die Schenkel einer üppig gebauten Frau, deren Rock schon ziemlich weit in die Höhe geschoben war. Die nicht mehr ganz so junge Frau lachte wieder, als die Hände des Mannes an einer bestimmten Stelle zur Ruhe kamen.
Das war auch der Augenblick, an dem wir uns meldeten. Ich versuchte es mit einem Räuspern, was überhört wurde. Danach ließ ich meine Stimme erklingen.
»Halbzeit!«
Da zuckten beide zusammen. Die Frau stieß einen Schrei aus, und die Hände des Bürgermeisters rutschten nach unten und ließen die Frau los, die einen roten Kopf bekam, sich von dem Mann wegdrehte und aus dem Zimmer lief.
»Sind Sie der Bürgermeister?«, fragte ich.
Der Typ mit den grauen Haaren und den rötlichen Augenbrauen schnappte erst mal nach Luft.
Dann hatte er sich gefangen und fuhr uns an. »Was haben Sie hier überhaupt zu suchen?«
»Sie sind doch der Bürgermeister – oder?«
»Was wollen Sie? Wer hat Sie reingelassen?«
Ich wiederholte meine Frage. »Sind Sie der Bürgermeister Andy Vargas?«
»Ja, verdammt.«
»Scotland Yard.«
Suko und ich hatten zugleich unsere Ausweise gezogen. Vargas hatte noch etwas sagen wollen, doch als er die Dokumente sah, da blieben ihm die Worte im Hals stecken.
»Ja«, sagte er, »das sehe ich. Sie sind von Scotland Yard.« Er reagierte mit einem unechten Lachen. »Tut mir leid, wenn Sie – ich meine – das hier …«
Ich winkte ab und unterbrach seine Entschuldigung. »Was Sie mit der Frau treiben oder nicht, spielt für uns keine Rolle. Wir sind nicht hier, um Ihnen auf die Finger zu schauen.«
»Gut, dann setzen Sie sich doch, bitte.«
Es gab eine Sitzecke im Büro mit mehreren kleinen Sesseln. Bevor wir dort Platz nahmen, stieß der Bürgermeister die Tür zu und setzte sich uns gegenüber. Er bot uns etwas zu trinken an, was wir aber ablehnten.
»So lange wollen wir nicht bleiben«, sagte Suko.
»Ja dann …« Der Bürgermeister schlug die Beine übereinander. »Warum geht es?«
»Um die Kirche in Epping Upland«, sagte Suko.
»Ach.« Vargas schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nun wirklich nicht. Was haben Sie mit der Kirche zu tun?«
»Wir waren da.«
»Und? Was haben Sie gesehen, was so spannend ist, dass sie direkt zu mir kommen?«
»Nicht viel …«
Vargas deutete mit der rechten Hand auf Suko. »Das können Sie auch nicht. Dort gibt es nicht viel zu schauen.«
Diesmal übernahm ich das Wort. »Und warum nicht?«
»Weil man diese Kirche nicht mehr als eine solche bezeichnen kann. Sie wurde stillgelegt. Wie so viele andere Kirchen auch.« Er zuckte mit den Schultern. »Mir tut es leid, aber ich konnte es nicht ändern. Es ist so, und daran müssen wir uns gewöhnen. Ich denke, dass noch viele Kirchen geschlossen werden. Die Anzahl der Kirchgänger schmilzt immer mehr zusammen. Jetzt hat es uns auch getroffen.«
»Wann war das denn?«
»Ach, es ist noch nicht lange her. Vor knapp zwei Monaten mussten wir sie
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