1823 - Totenland
ob sie ihn immer an einer bestimmten Stelle verlassen. Wenn ja, könnten wir uns dort auf die Lauer legen.«
»Das ginge auch.«
»Dann rede noch mal mit dem Wirt, bitte.«
Das ließ sich Karina nicht zweimal sagen. Der Mann stand noch in unserer Nähe und hielt den Blick seiner starren Augen auf uns gerichtet. Als er angesprochen wurde, zuckte er zusammen und sah aus, als wollte er flüchten.
Karina Grischin aber senkte ihre Stimme. Noch mal sprach sie intensiv auf den Wirt ein, und ich blieb in der Rolle des Zuschauers. Es war zu sehen, dass er sich in seiner Haut nicht wohl fühlte. Das wäre mir auch so gegangen. Hin und wieder gab er Antworten, schüttelte aber auch mal den Kopf.
Karina bedankte sich bei ihm und drehte sich wieder zu mir um.
»Hast du Neuigkeiten?«, fragte ich sie.
»Nein, keine direkten. Sie kommen aus dem Totenland und fallen in den Ort ein. Wen sie auf der Straße finden, den jagen sie. Zum Glück nicht alle, die sie sehen, denn die meisten Menschen sind zu schnell für sie.«
»Hast du noch mal Rasputin mit ins Spiel gebracht?«
»Das habe ich.«
»Und weiter?«
»Nichts. Er wollte davon nichts wissen. Ob er nun gelogen hat oder nicht, das kann ich dir nicht sagen. Jedenfalls hat er Angst. Alle haben Angst hier.«
»Und was ist mit einem Zugang zum Sumpf?«
Karina winkte ab. »Du kannst von überall das Totenland betreten, so ist das ja nun nicht, aber das tun die wenigsten. Auch wenn sie hier an der Sumpfgrenze leben, ist nicht gesagt, dass sie das Gebiet auch kennen. Das sind nur ganz wenige.«
»Aber es gibt welche?«
»Ja.«
»Dann sollten wir versuchen, einen Führer aufzutreiben.«
Karina lächelte breit. »Genau das habe ich gedacht. Ich muss nur herausfinden, wer der beste ist und ob er uns auch helfen will.«
»Frag doch den Wirt.«
»Das werde ich auch tun.«
Ich war vorläufig zufrieden, denn mehr konnten wir beim besten Willen nicht erreichen.
Karina Grischin redete mit dem Wirt. Der schaute sie nur aus großen Augen an, und ich bekam als Beobachter mit, wie er nickte und zur Tür wies.
Was diese Geste bedeuten sollte, wusste ich nicht, aber Karina schien zufrieden zu sein. Sie nickte und klopfte dem Wirt auf die Schulter.
Dann war sie bei mir.
»Und?«, fragte ich.
»Gehen wir.«
Dagegen hatte ich nichts. Vor der Tür erst sprach Karina.
»Der Wirt wollte erst nicht so recht, und ich musste ihn noch mal darauf hinweisen, wer ich bin, dann aber hat er sich Mühe gegeben und mir einen Namen genannt. Er meinte, dass Oleg Turew der Richtige ist. Er kennt den Sumpf. Er hat früher mal als Führer gearbeitet. Er ist noch fit. Aber auch ein Einzelgänger.«
»Was bedeutet das?«
»Dass er schwierig ist.«
»Da hast du doch Erfahrung.«
»Ich hoffe, John, ich hoffe.«
***
Dass nicht auf uns geschossen worden war, lag daran, dass wir beide vor dem Haus standen und die Arme in die Höhe gestreckt hielten. In der offenen Tür hielt sich Oleg Turew auf, in den Händen ein altes Schnellfeuergewehr, aber die Kalaschnikow tat es noch immer, und keiner von uns wollte sich eine Kugel einfangen.
»Was wollt ihr hier?«
»Oleg Turew?«
»Wer will das wissen?«
»Ich. Karina Grischin.«
»Kenne keine Grischin.«
»Ich bin auch nicht von hier.«
»Dann hau wieder ab.«
Karina ließ sich nicht beeindrucken. »Moskau hat mich geschickt«, erklärte sie.
»Das ist ja noch schlimmer.«
»Nein, nun warte doch mal ab, was ich dir zu sagen habe.«
Oleg bewegte sein Gewehr. Jetzt zielte die Mündung auf mich. »Wer ist das denn?«
»John Sinclair …«
»Hä?«
»Er ist Engländer und kommt aus London.«
»Weit weg, wie?«
»Ja, aber daran sieht man, dass die Sache wichtig ist. Wie wäre es, wenn wir vernünftig miteinander reden würden?«
Turew überlegte noch. Er war ein kleiner Mann. Das Haar hatte er lang wachsen lassen. Es hing zu beiden Seiten des Kopfes herab und zeigte eine schwarzgraue Farbe. Das Gesicht war zerknittert, der Mund fiel kaum auf.
»Und wie soll das aussehen?«
»Lassen Sie uns in Ihr Haus!«
»Ist gut, kommen Sie beide.«
Wir hatten die erste Hürde genommen. Andere würden folgen, das war sicher. Oleg Turew war nicht nur ein Kenner des Totenlandes, er wohnte auch nicht weit von den Sümpfen entfernt, was nicht zu sehen, aber zu riechen war. Hier roch die Luft anders. Irgendwie abgestanden und auch fauliger. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, aber das glaubte ich eher nicht.
Oleg führte uns in ein kleines Zimmer, in
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