183 - Die Hexe und die Bestie
wir alles mit, um es zu Hause gründlich durchzuarbeiten.
***
Vera Grey verließ Tucker Peckinpah für ein paar Stunden. Der Industrielle nützte die Zeit für geschäftliche und private Telefongespräche.
Er gab seinem Anwalt Dean McLaglen Anweisungen, die die Rohfassung eines ziemlich komplexen Vertrags für eine Unternehmensfusionierung betrafen, erwähnte Klauseln, die ihm wichtig waren, und wollte das Ganze so bald wie möglich vorgelegt bekommen.
Danach setzte er weitere Hebel in Bewegung, um etwas über den Verbleib seines kleinen Leibwächters zu erfahren.
Man speiste ihn mit dem Versprechen ab, sich umgehend bei ihm zu melden, wenn man auf eine Spur von Cruv stieß.
Viele waren dem Industriellen aus verschiedensten Gründen verpflichtet, und sie wollten ihm alle helfen, aber sie konnten es nicht.
Zwischendurch drängte sich immer wieder Vera Greys Bild in seine Gedanken. Er kannte dieses wunderschöne Mädchen erst seit gestern, aber es hätte ihn geschmerzt, wenn er sie nicht wiedergesehen hätte.
Sie bewunderte ihn, das schmeichelte ihm. Ihr gefiel sein Stil, und er glaubte, daß er für sie auch als Mensch nicht uninteressant war.
Warum sollte ein Mann in seinem Alter nichts für ein schönes Mädchen empfinden dürfen? Es gab keine Regeln, die vorschrieben, wie groß der Altersunterschied zwischen zwei Menschen, die sich mochten, sein durfte.
Tucker Peckinpah wäre bereit gewesen, Vera Reife, die Milde des Alters und eine verständnisvolle Freundschaft anzubieten. Die wilden Stürme hatten sich gelegt, aber Schutz und Geborgenheit konnte Vera bei ihm finden - wenn sie es wollte.
Als sie wiederkam, trug sie ihr hüftlanges Haar offen, und der Ausschnitt ihres kornblumenblauen Kleides gewährte ihm einen sehenswerten Einblick.
Sie trug eine Sporttasche, in der sich außer einem Diktiergerät und Schreibutensilien auch ein Geschenk für ihn befand - ein kleiner Drache aus Bronze, der dem Industriellen Glück bringen sollte.
»Das wird er ganz bestimmt«, sagte Tucker Peckinpah begeistert. »Weil er von Ihnen ist, Vera.«
Sie lachte. »Ich habe ihn verhext.«
»Ihn auch?« erwiderte Peckinpah lächelnd. »Sie verzaubern alles, womit Sie in Berührung kommen. Wenn Sie erlauben, werde auch ich Ihnen etwas schenken. Ich weiß noch nicht, was, aber ich bin sicher, das Passende für Sie zu finden!«
»Sie schenken mir Ihre Zeit«, erwiderte Vera. »Das ist sehr viel für mich.«
Peckinpah stellte den kleinen Bronzedrachen auf den Tisch. Er ahnte nicht, daß Vera Grey keineswegs gescherzt hatte.
Tag und Nacht würde die Kraft des Drachen den Industriellen beeinflussen. Er würde ständig einer mysteriösen Strahlung ausgesetzt sein, ohne daß er sich dessen bewußt war.
Er hätte dieses verhängnisvolle Geschenk nicht annehmen sollen, doch Vera hatte gute Vorarbeit geleistet. Der Industrielle brachte ihr nun blindes Vertrauen entgegen.
Und mehr als das - seit sie ihn geküßt (und damit vergiftet) hatte.
***
Virginia Stevens’ Tagebuch war ungemein ergiebig. Ihr Leben war unerfüllt gewesen, immer wieder tauchte die Frage auf: »Wozu bin ich eigentlich nütze?«
Sie wußte es nicht. Eine gewisse Sinnlosigkeit überschattete ihr Dasein, daran konnte auch Edward Kern nichts ändern. Er hatte sie geliebt.
Für sie war er nichts weiter als ein Mittel zum Zweck gewesen. Hier war es einmal umgekehrt: Der Mann war das Lustobjekt gewesen. Nur diese eine Aufgabe hatte Kern zu erfüllen.
Virginia vertraute ihrem Tagebuch offen alles an. Auf diese Weise lernten wir sie sehr gut kennen, und was wir über ihren Charakter erfuhren, begeisterte uns nicht.
»Der Dummkopf tut alles, wirklich alles, für mich«, schrieb sie über Edward. »Er ist Wachs in meinen Händen, ein richtiger Waschlappen, kein Mann. Ich habe keine Achtung vor ihm.«
Eines Tages ließen die Eintragungen Beigeisterung erkennen. Virginia Stevens war einem Mann namens Mike Munro begegnet.
»Was für ein Kerl«, schrieb sie. »Er fasziniert mich, ich fühle mich sehr stark zu ihm hingezogen, obwohl ich spüre, daß er ein böser, verdorbener Mensch ist. Aber gerade das spricht mich an. Ich erkenne zwischen uns einen gewissen Gleichklang. Irgendwie muß ich sein wie er, ohne daß es mir bisher bewußt war. Ich begehre ihn so sehr wie Edward mich. Ich muß ihm gehören, ich verzehre mich nach ihm.«
Munro nahm sie in seinen Zirkel auf. Sie nannte ihn den »Prediger«.
Da Munro sich nicht so um sie bemühte, wie sie es sich
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