184 - Das Kreuz der blinden Göttin
behandeln, als wäre sie so hilflos wie ein Schulmädchen. »Ich denke, ich habe bereits des öfteren bewiesen, daß ich mich ganz gut meiner Haut zu wehren verstehe.«
»Du warst aber auch ebensooft in Schwierigkeiten«, hielt ich ihr dagegen.
Sie hob den Zeigefinger. »Zumeist dann, wenn du nicht bei mir warst.«
Damit hatte sie recht, dieses Argument mußte ich gelten lassen. Ich seufzte. »Na schön, du bist morgen dabei.«
Lächelnd küßte sie mich. »Ich werde dir ganz bestimmt nicht zur Last fallen.«
***
Rock Cassavetes wurde langsam ungeduldig. Er überlegte, ob er die Rezeption anrufen und verlangen sollte, daß man ihn »befreite«.
Sein Blick ruhte eine Weile auf dem Telefon. Dann entschied er sich, noch zu warten.
Er hätte natürlich auch versuchen können, die Tür mit Gewalt aufzubekommen, doch das wäre die schlechteste aller Möglichkeiten gewesen. Er wollte hier nichts kaputtmachen.
Schritte näherten sich der Tür.
Er sprang auf. Draußen blieb jemand stehen. »Glynis?« rief er.
Statt einer Antwort hörte er sie schluchzen.
»Glynis, ich hoffe, du hast deinen Zimmerschlüssel bei dir. Würdest du bitte aufschließen?«
Schluchzen. Herzzerreißend.
Cassavetes fragte sich, ob Glynis’ Tränen wieder Martin galten. War das die zweite Welle der Trauer, die Glynis übermannt hatte? Hatte sie sich mit der gesamten Tragweite ihres plötzlichen Alleinseins auseinandergesetzt?
»Glynis, bitte fasse dich!« redete ihr Cassavetes zu. »Schließ die Tür auf, dann können wir miteinander reden. Ich bin sicher, daß ich dir helfen kann.« Endlich reagierte Glynis. »Oh, Rock, es ist alles so entsetzlich.«
»Beruhige dich, du kommst wieder auf die Beine. Sally und ich lassen dich nicht im Stich. Wir werden dir über die schlimme Zeit hinweghelfen… Würdest du jetzt bitte aufschließen?«
Er hörte, wie sie den Schlüssel ins Schloß schob, und trat, erleichtert aufatmend, zwei Schritte zurück. Die Tür schwang auf.
Große Tränen glänzten auf Glynis’ Wangen. Sie wankte dem gutaussehenden Mann entgegen, es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie in die Arme zu nehmen.
Er fing sie auf und hielt sie fest, weil er glaubte, daß sie sonst zusammensacken würde. Was sollte er in dieser schmerzerfüllten Situation sagen? Er suchte nach Worten.
Sie mit der Phrase, es würde schon wieder alles gut werden, zu trösten, war deplaciert, denn Martins Tod war nicht rückgängig zu machen.
Da ihm partout nichts einfallen wollte, hinter dem er stehen konnte, sagte er im Moment lieber nichts und streichelte Glynis nur mitfühlend.
Sie hob den Kopf, ihre Augen schwammen in Tränen. »Magst du mich, Rock?«
»Natürlich mag ich dich, Glynis.«
»Ich war bei Sally. Sie sagte, ich wäre nicht dein Typ.«
Er wußte schon wieder nicht, was er sagen sollte, räusperte sich verlegen. Sally hatte recht, aber das konnte er Glynis jetzt nicht so unverblümt sagen.
Wie hatte Sally nur mit ihr darüber reden können?
»Was weiß schon Sally«, erwiderte er und zwang sich zu einem freundlichen Lächeln. »Welche Frau kann schon von sich behaupten, ihren Mann wirklich gut zu kennen?«
»Wir hatten deswegen eine Auseinandersetzung«, sagte Glynis.
»Das ist nicht wahr!« stöhnte Rock Cassavetes. »In dieser Situation?«
Er warf das nicht einmal so sehr Glynis vor, denn die hatte der Tod ihres Mannes völlig aus dem Tritt gebracht, aber Sally hätte gescheiter sein müssen. »Sally hat mir sehr wehgetan, Rock.«
»Ich begreife das nicht.« Er griff nach ihrer Hand. »Komm, wir gehen zu ihr. Sie wird sich entschuldigen. Das Ganze kann nur ein bedauerliches Mißverständnis sein. Wir werden das sofort klären.« Er begab sich mit Glynis zu seiner Frau. »Sally?« Da sie nicht im Zimmer war, konnte sie nur im Bad sein. Ohne anzuklopfen stieß er die Tür auf. »Sally, was…«
Ihm versagte für einen Moment die Stimme. So, wie Sally in der Wanne lag, konnte sie nur tot sein.
»Sally!« schrie er entsetzt. »Gott, was ist passiert?«
Er wollte sich auf seine Frau stürzen und sie aus der Wanne heben, da fiel ihm das Stromkabel auf, und er blieb wie vom Donner gerührt stehen.
»Glynis, was hat sie getan?«
Er riß den Stecker aus der Steckdose und holte den Haarfön aus der Wanne.
»Wie konnte sie nur so leichtsinnig sein? Ein Elektrogerät in der Badewanne… Das ist doch Wahnsinn! Das hat sie noch nie gemacht.«
»Das hat sie auch diesmal nicht«, behauptete Glynis. Es klang triumphierend. »Sie
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