1845 - Der Weise von Sargasso
hier in meiner Burg. Das sagte ich bereits.«
»Ja, das glaube ich. So etwas Ähnliches habe ich mir schon gedacht. Und wo steht diese Burg?«
»Irgendwo …«
Sheila war nicht auf den Kopf gefallen. »Irgendwo im Nirgendwo?«, hakte sie nach.
»Vielleicht.«
»Ich dachte, in den Bergen.«
Er gab ein Lachen von sich. »Die Berge stehen auch im Nirgendwo.«
Sheila hatte auf jede Frage eine Antwort erhalten. Trotzdem wusste sie nicht mehr. Eine war ihr noch besonders wichtig. Deshalb fragte sie: »Wann komme ich hier wieder raus?«
»Keine Ahnung.«
Die Antwort ärgerte sie. »Aber ich bin nicht freiwillig hier. Mein Mann und ich wurden geholt. Das ist eine Entführung, und ich weiß nicht, was das bedeuten soll.«
»Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Sie sind hier gut aufgehoben. Wir sind in einer gewaltigen Zone, in der sich die Burg auch wohl fühlt. Sie ist nur zu bestimmten Zeiten zu sehen, ansonsten ist sie verschwunden. Jetzt ist sie sichtbar. Das wissen auch die Menschen im Tal, und sie haben Angst, große Angst sogar. Deshalb verstecken sie sich auch in ihren Häusern oder haben sie sogar verlassen.«
»Und wo ist sie, wenn sie nicht sichtbar ist?« Sheila ärgerte sich über das leichte Zittern in ihrer Stimme.
»Ich sagte es schon – im Nirgendwo.«
Sie wusste, dass sie so nicht weiterkommen würde. Deshalb sagte sie erst mal nichts und suchte nach weiteren Worten. Für sie war es schlimm, von ihrem Mann getrennt zu sein, und sie wollte von ihrem Entführer wissen, warum gerade sie und ihr Mann entführt worden waren. Da fragte sie auch nach einem Zufall.
»Nein, das ist keiner gewesen.«
»Also bewusst?«
»Ja, das war wichtig. Bill Conolly ist jemand, der sich für viele Dinge interessiert. Der auch viel weiß. Der Berichte über geheimnisvolle Themen schreibt, der immer tiefer in fremde Materien eindringen will. Und so habe ich euch meinen Diener Carlos Esteban geschickt, der alles in die Wege leitete. Jetzt habe ich Ruhe vor euch und kann so agieren, wie ich will.«
»Und das heißt?«
»Ich werde meine Pläne durchsetzen.«
»Darf ich fragen, wie sie lauten?«
»Nein. Aber ich freue mich, dir sagen zu können, dass auch du eine Rolle darin spielst. Auch wenn du mich hier als einen alten Mann siehst, vergiss nie, welche Macht ich habe.«
Er lachte auf, und dann sah Sheila, wie sich die Finger bewegten, die auf der Kugel lagen. Sie war mit dem blauen Licht gefüllt, das sich jetzt noch intensivierte und auch die Kugel verließ.
Das Licht wanderte in den Arm des alten Mannes, hatte bald die Schulter erreicht und überflutete in den nächsten Sekunden den gesamten Körper.
Aus dem alten Mann war eine blaue Figur geworden, und Sheila starrte sie fasziniert an. Sie hatte das Gefühl, in den Körper schauen zu können, und glaubte, das Skelett zu sehen.
Nur für Sekunden, dann war das Bild vorbei, und es war überhaupt alles vorbei.
Es gab den Weisen nicht mehr.
Er hatte sich aufgelöst.
Sheila atmete tief durch. Mit einem derartigen Fortgang hatte sie nicht gerechnet. Wenn sie nach vorn schaute, sah sie die Fenster. In ihnen hatte sich das blaue Licht noch versammelt, sodass es nicht dunkel geworden war. Aber der alte Mann kehrte nicht zurück.
Sheila überlegte, was sie tun sollte. Bisher hatte sie nicht aus dem Fenster geschaut, das holte sie jetzt nach. Zwar musste sie sich mit dem blauen Licht auseinandersetzen, aber sie glaubte nicht, dass es ihr den Blick verwehren würde.
Sheila hielt dicht vor der Scheibe an. Sie senkte den Kopf ein wenig, denn für sie kam nur infrage, einen Blick in die Tiefe zu werfen. Und das gelang ihr auch.
Das Licht störte sie nicht.
Was sie störte, war die Tiefe oder einfach die Schlucht. Sie hatte den Eindruck, dass die Burg praktisch am Berghang festklebte. Wie ein Nest, und wer aus dem Fenster schaute, dessen Blick fiel senkrecht in die Tiefe.
Es war nicht finster, und so konnte sie sehen, was sich unten am Boden tat. Es war nicht nur das blanke Gestein, das sie sah, dort gab es auch etwas, was sich davon abhob.
Häuser.
Der kleine Ort, aus dem sie entführt worden war, und in dem ihr Mann noch immer auf sie wartete.
Als Sheila daran dachte, spürte sie einen Druck hinter ihren Augen, und sie hatte Mühe, die Tränen zu unterdrücken.
Es gab keinen Zweifel. Man hatte sie entführt, und jetzt war sie eine Gefangene, wobei sie sich fragte, ob man sie je wieder freilassen würde …
***
Wo befanden sich die Augen, die ihn
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