1848 - Zerrspiegel
sich als Mitglied dieser Gruppe eintragen lassen; daran hielt sie weiterhin fest. Sie erbat sich nur eine Pause und zog sich nach dem Abflug der Zwillinge Mila und Nadja Vandemar zurück.
Vej Ikorad hatte Verständnis gezeigt; zuviel ging in der jungen Mahnerin vor, vor allem nach dem furchtbaren Streit mit Presto Go.
„Ich hätte dich lieber bei mir", sagte der Sprecher der Neuen Realisten, „aber ich weiß, was in dir vorgeht."
„Es ist im Augenblick nicht so einfach", entgegnete Caljono Yai. „Vorher haben wir alle am Pilzdom gearbeitet, und es gab einen Sinn. Nun sind wir wieder allein, das Volk der Herreach ist zerspalten, und Kummerog ist uns nach wie vor fern. Ich muß über das nachdenken, was Presto Go gesagt hat. Ich - habe sie sehr beschimpft, Ikorad."
„Ich weiß. Du nanntest sie eine fanatische alte Frau. Aber das war im Zorn."
„Zorn. Das ist es eben, was mich erschreckt. Wieder so ein fremdes Wort, das die Veränderung der Herreach so deutlich macht. War ein Herreach früher jemals zornig? Vielleicht einmal außer Fassung gebracht, aber so, daß ich mir ..." Caljono Yai unterbrach sich, ihr Nas-Organ fiel in sich zusammen. „Ich habe mir gewünscht, daß sie tot umfiele", flüsterte sie.
„Es lag an der Situation. Presto Go hat dich beleidigt."
„Etwas geht mit uns vor", fuhr die Mahnerin fort. „Wir übernehmen die Emotionen der Terraner, wie die oberste Künderin es vorhergesagt hat. Verstehst du, was das bedeutet?"
Sie nahm die verspiegelte Sonnenbrille ab und richtete ihre geschlitzten, leuchtendgrünen Augen auf den Sprecher.
„Was hat diese kurze Zeit des Zusammenseins mit den Terranern bereits aus uns gemacht? Aus dir und mir, obwohl wir gebildeter sind als die gewöhnlichen Herreach?"
Vej Ikorad sah sich unwillkürlich in die Rolle des Verteidigers gedrängt.
„Daran liegt es nicht, Yai. Unsere ganze Welt hat sich verändert. Es gibt keine Gleichförmigkeit mehr, sondern Licht und Schatten, Hell und Dunkel. Es gibt nur zwei Seiten, und entsprechend verändern wir uns. Wir sind nicht mehr die Herreach der Frühzeit. Presto Go hat das als erste erkannt, aber sie kämpft dagegen an, und das ist der falsche Weg."
„Meinst du?"
„Ganz sicher! Fortschritt und Veränderungen lassen sich nicht aufhalten. Wir dürfen uns nicht dagegen wehren, sondern wir müssen es annehmen und uns anpassen. Nur so können wir überleben - als einiges Volk.
Wir brauchen den Terranern nicht die Fehler ihrer Frühzeit nachzumachen, indem wir anfangen, uns untereinander zu bekämpfen, nur weil wir nicht alle der gleichen Ansicht sind. Unser großes Ziel, Kummerog zu finden, ist uns genommen worden. Nicht aber die Prophezeiung, die wahr geworden ist. Wir haben sie herbeigesehntnun leben wir damit!"
„So einfach ist es nicht." Caljono Yais Nas-Organ blieb weiterhin eingefallen. „Du bist schon so sehr mit den Terranern vertraut, daß dir die elementaren Grundgedanken der Herreach entfallen sind. Du plapperst alles nach, scheint mir. Aber ist es auch wirklich deine Überzeugung? Kannst du das alles so leicht überwinden, ohne daß es Spuren hinterläßt?"
Vej Ikorad hob seine proportional überlangen Arme und legte seine vierfingrigen Hände behutsam auf Yais schmale Schultern.
„Jeden Augenblick tobt in mir ein Sturm", sagte er sanft. „Jeder Augenblick, glaube mir, in dem ich mich frage, wohin das führt. Ich verfluche die Prophezeiung und die Terraner, denn ich bin nicht sicher, ob die Zukunft der Herreach nun gut sein wird. Aber ich weiß, Mahnerin, daß wir nicht mehr zurückkönnen. Du und ich am wenigsten, denn wir wissen bereits zuviel. Ich kann nicht davonlaufen und mich verstecken; ich muß dem Volk als Sprecher dienen und Wege suchen, um unsere Welt wiederaufzubauen. Nichts kann wichtiger sein. Das ist meine Aufgabe seit Anbeginn, sonst wäre ich Bauer geblieben."
Yais Nas-Organ gewann allmählich wieder an Volumen, ganz leicht plusterte es sich auf, doch nur zögernd, zitternd.
„Denkst du, daß wir einst auch wieder einen Zyklus und Kinder haben werden?" fragte sie.
„Ich glaube fest daran", behauptete Ikorad. „Die Prophezeiung hat sich nicht erfüllt, um unser Volk in den Untergang zu führen. Wir haben noch eine Aufgabe. Es geht eben nicht so schnell, aber wir müssen Geduld haben." Er ließ Yais Schultern los. „Nimm dir Zeit, Yai, um über dich nachzudenken und über das, was du künftig tun willst. Ich werde auf dich warten, denn ich brauche dich. Du bist sehr
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