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1852 - Die Galornin

Titel: 1852 - Die Galornin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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„Kämpfe immer für das, was du für richtig hältst, und du wirst auch den Kampf mit dem Drachen überstehen. Ich glaube an dich, Kaif. Ich wünsche dir alles, was ich ... niemals haben kann ..."
    „Dauw!" rief Kaif Chiriatha entsetzt.
    Etwas wollte ihr die Kehle zuschnüren. Sie ging auf die Freundin zu, wollte loslaufen und sie ganz fest in die Arme schließen.
    In diesem Moment begriff sie die Wahrheit, und ein Gefühl nahm von ihr Besitz, wie sie es nie gekannt hatte und so schnell auch nicht mehr empfinden würde.
    Zum erstenmal sprudelte in ihr eine unendlich große Liebe für einen anderen Menschen hoch. Sie, die ihr junges Leben lang nur immer gehaßt hatte, wurde schwach und konnte kein Glied mehr rühren, begann zu frieren, wollte das Grauenhafte nicht wahrhaben.
    „Es tut mir so leid", schluchzte Dauw und lief los, ehe Kaif sie zu fassen bekommen konnte. Das schwächliche, zitternde Mädchen rannte in einem Bogen an ihr vorbei und warf sich auf den .Würfel im Gras.
    „Neiiiiin!"
    Kaifs Schrei mußte bis ans andere Ende der Kinderstadt zu hören gewesen sein.
    Sie wollte zu Dauw, doch bevor sie aus ihrer Starre erwachte, fühlte sie sich von zwei starken Händen gepackt und von den Beinen gerissen. Ein Erzieher - wer sollte es sonst sein? drückte sie an sich und lief mit ihr fort, warf sich mit ihr zu Boden.
    Es geschah keinen Augenblick zu früh.
    Dauw hatte etwas mit dem Würfel getan, vermutlich versucht, ihn zu öffnen. Er explodierte unter ihrem jungen Leib und mußte sie auf der Stelle getötet haben. Splitter jaulten durch die Luft und schlugen in Bäume und Wiese ein. Kaif hatte Glück, daß sie nicht getroffen wurde.
    Kaif Chiriatha richtete sich ganz langsam auf, halb verrückt vor Entsetzen und Zorn. Ein Haß, wie selbst sie ihn selten gespürt hatte, mischte sich in die tiefe Betroffenheit, wurde immer dominanter, explodierte in ihrem Gehirn.
    Wo war der fremde Erzieher geblieben?
    Er hatte Kaif das Leben gerettet, soviel erkannte sie in dem Orkan der Gefühle, die sie durchwühlten.
    Sie taumelte auf Dauw zu, deren Körper teilweise von der Bombe zerfetzt worden war - von der Bombe, die Lopt Zadheven für sie, Kaif, gebastelt hatte.
    Der rechte Arm war wie durch ein Wunder unverletzt geblieben. Kaif kostete es ihre ganze Überwindungskraft, auf den Knien an Dauws reglosen Körper heranzukriechen und ihr den Handschuh herabzurollen, bis zum Ansatz der künstlichen Hand.
    Kaif Chiriatha mußte würgen.
    Sie hatte sich nicht getäuscht.
    Der Unterarm war bräunlich verfärbt, die Haut teilweise aufgeplatzt. Die für besiegt geglaubten Erreger ihrer Wundinfektion hatten sich also über all die Jahre hinaus nur eingekapselt, um plötzlich wieder auszubrechen und ihr verheerendes Werk an Dauws Körper fortzusetzen.
    Dauw hatte es zu verbergen versucht, doch irgendwann hätte das Gift den Oberarm erreicht, dann die Schultern, den Rumpf. Dauw hatte gewußt, daß sie sterben würde, und sich deshalb für Kaif geopfert.
    Meine liebe Seele! dachte die Dreißigjährige, die nun keine Freundin, keinen Freund mehr hatte. Die von nun an ganz allein war in der Stadt der Kinder, mit allen anderen gegen sich.
    Da zuckte Dauws Arm noch einmal, und noch einmal kam ein Hauch von Leben in ihren Blick. Kaif durchlief es heiß. Sie brachte ihren Kopf so vor Dauws Gesicht, daß sie sie sehen mußte. Dauw selbst konnte sich nicht mehr rühren.
    „Kaff ...", die Stimme war nur ein Wispern.
    „Ja, Dauw, ja!"
    Sie brachte ihr Ohr ganz nahe an Dauws Mund und hörte sie flüstern: „Ich ... sehe den Schacht des Drachen. Ich kann ... mitten hineinschauen. Und ich weiß jetzt, was der Drache ist. Ich steige hoch, meine Seele. Ich steige ... höher und ... höher und sehe ... die ganze Welt, das Universum ..."
    „Dauw!" sagte Kaif unter Tränen. Es sollten die letzten Tränen sein, die sie in ihrem Leben vergoß. „Du darfst dich nicht anstrengen!"
    Mit den Fingerspitzen liebkoste sie das bleiche Gesicht; auch noch, als der Blick brach und Dauw Cballah ein letztes Mal zuckte.
    Etwas zwang sie dazu aufzustehen. Etwas sagte ihr, daß sie zurückweichen mußte. Sie hatte nie einen anderen Galornen sterben gesehen. Die Erzieher hatten zwar darüber gesprochen, daß sich in Baaken Bauu an mehreren Stellen der Stadt auf großzügig angelegten Arealen sogenannte Felder der Schriften befanden, die Friedhöfe der Galornen, wo sich jeweils Hunderte von säulenähnlichen Gebilden aus einem glatten weißen Bodenbelag erhoben.

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