1852 - Die Galornin
sagte Kaif gedehnt, während es in ihrem Kopf arbeitete. „Sicherlich nicht ..."
War das die Gelegenheit, sich an ihm zu rächen? Seit dem Säureanschlag war kein Tag vergangen, an dem sie nicht daran gedacht hätte.
Sollte dies das Geburtstagsgeschenk für sie sein? Endlich die beißersehnte Gelegenheit?
Noch hatte sie keinen Plan für seinen Tod. Sie hatte so viele erdacht und wieder verworfen, daß in ihrem Kopf in diesem Moment, als Lopt Zadheven näher kam, eine ganz ungewohnte Leere herrschte.
Sie spürte genau die Aura der Falschheit, als der verhaßte Erzrivale vor ihr stehenblieb und ihr den in weißes Tuch verpackten Gegenstand entgegenhielt.
„Ich weiß, daß du heute dreißig Jahre alt geworden bist", sagte er. Diese Fratze! So sanft hatte sie seine Stimme noch nie gehört. Falsches Biest! „Ich möchte dir ein Geschenk machen und unseren Streit für immer begraben, Kaif. Ich meine es ernst. Wir sind beide älter und reifer geworden. Ehrlich gesagt, du hast mir gefehlt, und da habe ich begriffen, daß ich eine so starke Persönlichkeit wie dich gebraucht habe, um mich daran zu messen. Laß uns Freunde werden." Er zögerte, sah die kalte Ablehnung in ihrem Blick und schaute dann zur Ringmauer hinauf. „Laß uns gemeinsam den Drachen besiegen. Ich will es genauso wie du."
Das verwirrte sie tatsächlich.
Alles, was sie sich schon an Worten zurechtgelegt hatte, blieb ihr im Hals stecken. Sie hörte Dauw hinter sich stöhnen, war aber unfähig, sich zu ihr umzudrehen und nach ihr zu sehen.
„Die Erzieher belügen uns", schickte Lopt schnell hinterher. „Du hast es erkannt, und ich habe es erkannt. Sie denken, daß wir unsere Aggressionen - so nennen sie es ja inzwischen offen - hier in der Stadt der Kinder ausleben werden, um dann, nach dem Spiel mit dem Drachen, als friedliche, dumme Erwachsene in die Welt draußen zurückzukehren. Das ist ja lächerlich! Sie können sich nicht vorstellen, daß es nicht nur alle die Dummköpfe gibt, die sie manipulieren können, sondern auch einige wenige junge Galornen, die ihr Spiel durchschauen und die wahren Werte Wiedererkennen. So wie du, Kaif, und wie ich. Wir Galornen sind zum Herrschen geboren. Kein Drache kann uns daran hindern und kein Erwachsener!"
Das war fast mehr, als Kaif in ihrem ganzen Leben bisher von Lopt Zadheven gehört hatte - und dann noch an einem Stück.
Sie war so verwirrt, daß sie sein Geschenk entgegennahm. Sie sagte nichts. Es war das erstemal in ihrem Leben, daß sie vollkommen überrumpelt war - und gleichzeitig der erste riesige Fehler, den sie sich zu machen erlaubte.
„Überlege es dir", sagte Lopt. „Wenn du es willst, dann treffen wir uns hier wieder, in genau einer Woche. Es würde mit leid tun, wenn ich umsonst warten müßte. Wirklich, Kaif ..."
Damit wandte er sich um und ging.
Hatte das gerade schon wieder wie eine Drohung geklungen?
Kaif Chiriatha rief ihm nicht nach, ließ ihn gehen.
„Komm fort von hier!" drängte Dauw und packte sie. Ihre linke Hand zitterte und war tatsächlich eiskalt. „Er lügt. Er will dir nur Böses. Er hat sich nicht verändert."
Kaif ließ sich von ihr ziehen, den Kopf voller sich überschlagender Gedanken.
*
In einem Park, auf dichtem Rasen zwischen hohen, rot blühenden Bäumen, machten sie halt, etwa auf halber Strecke zwischen dem Platz des Drachen und ihrer Unterkunft. Kaif hielt noch immer das Geschenk ihres ärgsten Feindes in den Händen und legte es nun, als sie sich setzten, zwischen Dauw und sich nieder. Als sie das weiße Tuch entfernte, kam darunter eine würfelförmige Schachtel zum Vorschein. Sie war relativ schwer.
„Öffne das nicht!" bat Dauw, als Kaif sich anschickte, die Klammern an der Schachtel zu lösen. „Es ist ..." Sie stöhnte, griff sich mit der linken Hand an den rechten Arm und schloß die Augen.
„Dauw!" rief Kaif und legte die Schachtel wieder ins Gras. „Meine liebe Seele! Sag mir doch endlich, was dich so quält!"
Eigentlich hätte sie es längst wissen müssen, zumindest ahnen. Doch sie verdrängte jeden Gedanken daran. Es durfte nicht sein, das nicht!
Sie streckte die Hand nach der Freundin aus, ganz langsam, ganz sacht, aber Dauw wich zurück. Sie stand auf und ging einige Schritte rückwärts.
„Du darfst den Kampf niemals aufgeben - meine liebe Seele", sagte Dauw Cballah ganz leise. In ihren runden Augen war ein Glanz, wie ihn Kaif noch nie bei einem Galornen gesehen hatte. Sie waren feucht, doch das war es nicht allein.
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