1852 - Die Galornin
Diese Säulen bestanden aus silbern poliertem Metall, waren bis zu zehnfach galornenhoch und etwa halb so dick, und in jede waren Tausende von Namen eingraviert - die der Toten, die dort ihren Frieden gefunden hatten.
Sie hatten auch gesagt, daß ein sterbender Galorne im Augenblick seines Todes seinen Geist verströme und alle seine positiven Energien und Gedanken ans Universum abgebe. Sein Körper würde dabei in einer grellen Lichterscheinung regelrecht verpuffen.
Kaif hatte daran nie so recht geglaubt. Die Schüler kamen nicht aus der Stadt der Kinder heraus, wie sollten sie das also nachprüfen können?
Doch nun geschah es mit Dauw.
Der Körper des Mädchens wurde von einem unheimlichen, irisierenden Leuchten umspielt. Dann begann er selbst zu scheinen, wurde durchsichtig, von einem überweltlichen Licht geradezu durchflutet.
Und gleichzeitig strömte ihr Geist aus der bereits toten Hülle heraus und erfüllte den Äther. Kaif glaubte, in einer Brandung von Gefühlen, Gedanken und einem Glück versinken zu müssen, das unmöglich von Dauw kommen konnte. Sie war doch tot und hatte gelitten!
Und dann löste ihr Körper sich auf, er „verpuffte" so, wie es die Erzieher gesagt hatten, und zwar ohne Hinabsinken auf eine Säule, auf der ihr Name stehen würde.
Dauw Cballah war gestorben, es gab keine Dauw mehr.
Nur allmählich fand Kaif in die Wirklichkeit zurück. Sie war immer noch benommen von dem, was aus Dauw auf sie übergeströmt war, als sie ihr Wohnhaus erreichte. Sie ging ohne jedes Wort an den Erziehern vorbei, die bereits wußten, was geschehen war und sie befragen wollten.
Sie zog sich in ihre Ecke in ihrem Raum zurück, die immer noch leer war und blockte alles ab, alle Fragen, bis man einsah, daß aus ihr nichts herauszuholen war.
Sie vergoß keine Träne mehr.
Sie spürte dem nach, was aus Dauw auf sie übergeflossen war, und versuchte es zu konservieren, als Andenken und Teil ihrer einzigen Freundin in sich zu verankern.
Aber in ihr war nur noch Leere, und der Haß schob langsam und beständig seinen Keil hinein. Er wuchs und wuchs, und er hatte einen Namen: Lopt Zadheven.
Kaif hatte jetzt nichts mehr zu verlieren. Der Haß war ihr einziges Gefühl, der einzige Antrieb in dieser Phase ihres Lebens.
In der folgenden Nacht nahmen die Mordgedanken konkrete Formen an. Lopt hatte Dauw auf dem Gewissen, und es gab nichts und niemanden mehr in der Stadt der Kinder, dem Kaif Chiriatha eine Rechtfertigung schuldig gewesen wäre.
Nur als sie sich von einer Seite auf die andere drehte und endlich einschlief, sah sie in ihren Träumen den Fremden wieder, der sie auf der Wiese in Sicherheit gezogen hatte und der dann so geheimnisvoll verschwunden wie gekommen war.
Er war größer gewesen als ein normaler erwachsener Galorne, und an seinem linken Handgelenk hatte er ein ziemlich auffälliges schwarzes Armband getragen.
Irgendwie paßte seine Erscheinung nicht zu einem Erzieher. Doch wer sollte er sonst sein?
*
Lopt Zadheven konnte seine Bombe nur auf eine Art aus den unterirdischen Werkstätten geschmuggelt haben: in Stücken, kleinen Einzelteilen, die für sich harmlos waren. Irgendwie hatte er es dann geschafft, sie zusammenzusetzen, ohne daß es die Erzieher gesehen hatten.
Kaif wollte einen anderen Weg gehen, einen einfacheren und darum sichereren.
Sie ließ, jetzt ganz allein, die Schulstunden über sich ergehen und ertrug das Gelaber der Erzieher geduldig. Inzwischen hatten sie den Schülern in Kaifs Alter alle Grundlagen in den Bereichen Naturwissenschaften, Kommunikation, Forschung und Technik beigebracht. Wer sich in einer bestimmten Richtung weiterbilden wollte, der konnte entsprechende Kurse besuchen.
Jetzt sprachen sie immer mehr über das, was sie die „geistigen Werte" der Galornen nannten. Kaif war angewidert davon und schmiedete in ihrer grenzenlosen Verbitterung Pläne, diesen verlogenen Unterricht zu sabotieren.
Vom „Frieden für Plantagoo" war natürlich die Rede, immer und immer wieder. Ihr wurde übel davon.
Das Volk der Galornen wurde hingestellt als eines, das einer ganzen Galaxis den Frieden und das Glück gebracht hatte. Und Kaif wußte genau, daß es nicht so gewesen sein konnte. Aber keine Erzieherin und kein Erzieher sprach je von der Zeit vor dem großen Frieden in Plantagoo.
Sie schwiegen die Vergangenheit tot. Die anderen Schüler, die sich damit begnügten, ihre Aggressionen in eigentlich harmlosen Kämpfen untereinander auszulassen, mochten damit
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