1867 - Der TraumtÀnzer
gerichtet. Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Er versuchte, die Lage aus der Sicht des Philosophen zu betrachten. Frage Nummer eins: Weshalb hatte Dreur sich in seine Nähe begeben? Aus Unwissenheit? Hatte er Saedelaeres Position in der Hohlwelt womöglich nicht gekannt?
Unwahrscheinlich, dachte sich Saedelaere. Dreur und Jenseitsdreur waren durch den Tunnel verbunden.
Einer wußte über den Aufenthaltsort des anderen jederzeit Bescheid.
Dreur hatte die Nähe des Terraners also mit Absicht gesuchtobwohl er ihn auch fürchtete, das bewies die Verfolgungsjagd.
Irgend etwas an Saedelaeres Nähe mußte für Dreur einen Vorteil bedeuten. Je kleiner die Entfernung, desto leichter fiel möglicherweise der Kräftetransfer zwischen den Zwillingswesen.
Als er das begriffen hatte, blieb er abrupt stehen. Dem Philosophen weiterhin zu folgen schien ihm plötzlich überflüssig.
Saedelaere drehte sich um. Mit langen Schritten ging er den Weg zurück, den er gekommen war, und er war sicher, daß Dreur ihm folgen würde.
Zum ersten Mal fühlte sich Saedelaere im Vorteil. Er kam zwar nicht an den Philosophen heran, aber er bestimmte nun, welche Wege Dreur passieren mußte. Das verschaffte ihm eine Reihe von Möglichkeiten.
Saedelaere wanderte exakt den Weg zurück, den er gekommen war. Seine Kräfte schwanden so rasch, daß es ihm Sorge bereitete. Ohne Zellaktivator wäre er längst zusammengebrochen. Er hatte nicht mehr viel Zeit.
Immer wenn er anhielt, um zu horchen, mit klopfendem Herzen und stockenden Atemzügen, umfing ihn die geisterhafte Stille der Hohlwelt. Einen sicheren Hinweis, daß Dreur tatsächlich in der Nähe blieb, schien es nicht zu geben. Erfühlte jedoch, der Philosoph war da, vielleicht nicht weiter entfernt als ein paar hundert Meter.
Die Haut versuchte mehrfach, ihre Tentakel in seine Körperöffnungen zu versenken. Doch er hinderte sie mit heftigen mentalen Schlägen.
„Ich leide Hunger, Alaska", drängte sie. „Bitte! Ich brauche die Nahrung!"
Er sagte kalt: „Im Moment kann ich dir nicht helfen. Warte noch ein bißchen ab."
Einen Moment lang hoffte er, sie möge einfach an Unterernährung sterben. Dann starb auch der eingeschlossene Jenseitsdreur, und der Spuk wäre vorbei.
Noch war Saedelaere sicher, daß er den körperlosen Zwilling besiegen konnte. Lange durfte es jedoch nicht mehr dauern. Wenn sowieso keiner von ihnen überleben konnte, war es dann nicht egal, wer als erster starb?
Er gelangte zum Ausgangspunkt der Kletterpartie zurück, an die kleine Siedlung unterhalb der Hänge.
Von dort wandte er sich in eine neue Richtung. Es kam darauf an, eine Gegend zu erreichen, die Jenseitsdreur nicht kannte.
Saedelaere marschierte nun schneller, weil er einen Vorsprung brauchte. Er kletterte aufwärts. Mehrfach überquerte er flache Hänge. Wollte Dreur weiterhin außer Sicht bleiben, dann hatte er keine andere Wahl, als Saedelaere über eine gewisse Strecke davonziehen zu lassen.
Nach kurzer Suche fand er eine Örtlichkeit, die ihm paßte. Saedelaere sah linker Hand einen steil abfallenden Hang. Am Fuß der Schräge befand sich ein kristallklarer Teich. Man konnte leicht bis auf den Grund sehen, weil es im Wasser keine Nährstoffe gab, keine Algen und kein tierisches Leben. Saedelaere nahm an, daß sich in dem Teich Schmelzwasser von den hochgelegenen Firnkappen sammelte.
Wenn er den Hang passieren wollte, gab es nur eine Möglichkeit, und zwar eine Reihe von Felsblöcken, die in der Art einer Perlenkette aus dem Hang ragten.
Er balancierte vorsichtig von einer Haltemarke zur nächsten. Verlor er den Halt, stand ihm ein Rutsch über dreißig Meter nach unten bevor. In seinem Zustand konnte er einen solchen Sturz nicht überstehen.
Einige Male schaute er sich um. Von Dreur war nichts zu sehen.
„Bist du noch da?" schrie er in die Stille. „Kannst du mich hören?"
Keine Antwort. Er hatte keine erwartet.
Saedelaere machte kurz vor Ende des Pfades halt.
Ein Felsblock mit flacher Oberfläche stellte den günstigsten Halt dar. Man konnte auch einige andere Steine verwenden; der flache Block schien ihm jedoch einladend und sicher: Vorsichtig -kletterte er einen Meter nach unten. Er stellte fest, daß der Stein durch eine Reihe kleiner Brocken an seinem Platz gehalten wurde.
Saedelaere machte sich daran, die stützenden Elemente der Reihe nach zu entfernen. Zuerst reichte die Kraft, die er in der linken Hand hatte. Dann mußte er das Küchenmesser zu Hilfe nehmen; und als
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