1867 - Der TraumtÀnzer
daß er auf zwanzig Kilometer Entfernung, unter den gegebenen Lichtverhältnissen, eine flaschengrüne Gestalt von zwei Metern Größe nicht mehr erkennen konnte, speziell dann nicht, wenn er sie nur von senkrecht oben sah, den viergeteilten Kopf und die Schultern.
Nichts passierte.
Automatisch wandte er einen Teil seiner Aufmerksamkeit wieder Jenseitsdreur zu. Der Philosoph wuchs langsam, aber stetig. Eine Stunde noch, rechnete Saedelaere, dann wäre er schon wieder imstande, die Haut zu überrumpeln. Nur für den Terraner reichte es bisher nicht, bis dahin mußte noch eine Weile vergehen.
Das innere Wachstum besaß auch einen Vorteil. Saedelaere spürte zum ersten Mal den Tunnel, der den Jenseitsdreur und Dreur, seine andere Hälfte, miteinander verband.
Durch diesen Tunnel strömte Energie. Einst hatte er Goeddas Raum und die Erde verbunden - heute stellte er nur eine Verbindung über wenige Kilometer her.
Saedelaere fiel auf, daß der Tunnel in eine bestimmte Richtung wies. Zuerst maß er dem keine Bedeutung bei, weil die Richtung für sein Empfinden sehr diffus war. Dann erkannte er die Chance, die darin für ihn lag. Wenn es ihm gelang, die Richtung präzise zu erkennen, hatte er automatisch Dreurs Versteck.
Er suchte eine Felsenkante, von wo sich die Umgebung gut überblicken ließ. Die Haut erhielt Befehl, sich vollständig über seinen Körper zu verteilen. Nur das Gesicht blieb frei. Auf diese Weise hatten sie maximalen Körperkontakt.
Statt die Hänge abzusuchen, konzentrierte sich Saedelaere vollständig auf den Tunnel. Jenseitsdreur schien es zwar zu bemerken, doch besaß der Philosoph keine Möglichkeit, die Existenz der Verbindung zu verschleiern.
Er brauchte zehn Minuten. Dann kannte er die Route.
Saedelaere faßte über den Griff des Küchenmessers.
Er kam hoch, drehte sich ein paarmal um seine Achse, dann blieb sein Blick an einer Schneise kleben, die einige hundert Meter weit in den Fels führte. Wenn er genau hinsah, konnte er eine Art Trampelpfad erkennen.
Die Richtung war ein guter Ansatzpunkt. Nur die Entfernung wußte er nicht.
Er überlegte: Hätte sich Dreur auf der anderen Seite der Hohlwelt befunden, wäre der Tunnel senkrecht nach oben verlaufen. Dies war jedoch nicht der Fall. In Wahrheit zeigte der Tunnel waagerecht nach vorn.
Saedelaere schätzte, daß der Philosoph nicht weiter als drei oder vier Kilometer entfernt war.
Er beschloß, dem Trampelpfad zu folgen, und änderte seine Marschrichtung nicht mehr.
Über die körperlichen Möglichkeiten, die Dreur besaß, hatte er eine klare Vorstellung. Dreur bewegte sich ausgesprochen staksig, fast schon ungelenk. Er verfügte nicht über Knie oder Ellenbogen, dafür waren Hände und Füße sehr beweglich. Zur Fortbewegung in der Ebene mochte das reichen, nicht aber zur Kletterei in schwerem Gelände. Saedelaere nahm an, daß Dreur zwangsläufig dieselben Pfade benutzen mußte wie er selbst.
Orte, die dem Träger der Haut nicht zugänglich waren, konnte auch der Philosoph nicht erreichen.
Der Terraner machte sich darauf gefaßt, jeden Moment einem flaschengrünen Wesen von zwei Metern zehn Körpergröße gegenüberzustehen.
Der Pfad stieg mit geringem Neigungswinkel an. Es gab keine größeren Hindernisse, die den Weg versperrten. Dennoch erwies sich das Fortkommen als kraftraubend, solange sich knietiefe Löcher und hüfthohe Stufen im Fels aneinanderreihten.
Saedelaere folgte dem Pfad einen Kilometer weit. Die Stelle, von der seine Verfolgung begonnen hatte, geriet hinter einem Abhang außer Sicht.
„Es hat keinen Sinn, Alaska", lamentierte die Haut. „Wir werden es niemals schaffen."
„Sei still", schalt er sie.
„Alaska, ich habe Hunger."
Saedelaere ignorierte das Gejammer, weil er dem Parasitenwesen nicht helfen konnte.
Immer wieder hielt er an und prüfte die Richtung. Der Tunnel wurde dicker, der Kräftetransfer lief mit deutlich steigendem Umfang ab.
Saedelaere stellte fest, daß er automatisch auf dem richtigen Weg war. Dazu brauchte er nur der Schneise zu folgen.
Nach einer Stunde, als sich noch immer nichts getan hatte, wurde er unruhig. Der Träger der Haut erhöhte seine Marschgeschwindigkeit.
Vor ihm endete der Pfad plötzlich wie abgeschnitten. Er stand am Rand eines Geröllfeldes, das sich, von Steintürmen und Dorngestrüpp unterbrochen, über mindestens einen Kilometer erstreckte. Von dem Feld führten Pfade in verschiedene Richtungen weiter.
Saedelaere horchte auf den Kräftestrom zwischen
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