1867 - Der TraumtÀnzer
Wenn er Saedelaere helfen wollte? In dem Fall war vielleicht doch nicht alles vorbei.
Der Kleine hob einen Stein auf und wog ihn prüfend in der Hand. Auf den ersten Blick war nicht auszumachen, was er mit dem Stein anfangen wollte, dann aber begriff Saedelaere, daß der Junge die Absicht hegte, mit dem Stein zu werfen.
Dreur konnte den Jungen nicht sehen. Seine Kopfwunde wendete sich genau in die falsche Richtung.
Saedelaere wußte, daß es völlig ausgeschlossen war, mit einem Stein auf diese Entfernung ein Ziel zu treffen, und dennoch lag er für einen Moment still, damit Dreur und er sich nicht aus der Wurfbahn bewegten.
Der Junge holte sehr weit aus. Wenn er fünfzig Meter überwinden wollte, brauchte er eine Menge Kraft.
Jedenfalls mehr, als in dem schmalen Körper zu stecken schien.
Saedelaere erlebte den kurzen Augenblick scheinbar in Zeitlupe, so gestreckt wie drei oder vier Atemzüge.
Der Junge warf. Er entwickelte eine Explosivität, die Saedelaere überraschte.
Im selben Moment wandte Dreur sich um. Das Wurfgeschoß war unterwegs, nicht mehr als ein rasender Punkt, den man mit den Augen nicht verfolgen konnte. Dunkle Magie, Magnetismus.
Saedelaere holte mit einem scharfen Geräusch Atem.
Dreur zuckte, wollte aufspringen, zögerte für den Bruchteil einer Sekunde zu lang. Schon vorbei. Mit einem dumpfen Geräusch traf das Objekt den Kopf des Philosophen. Saedelaere spürte, wie der fremdartige Körper erschüttert wurde, von der Rückseite seines Kopfes spritzte Blut und besudelte Saedelaeres Gesicht.
Dann kippte Dreur lautlos zur Seite. Das Gewicht, das die ganze Zeit auf dem Rumpf des Terraners gelastet hatte, war mit einemmal fort.
Der Philosoph bewegte sich nicht mehr. Saedelaere begriff, daß er tot oder bewußtlos war.
Er schloß für einige Sekunden die Augen.
Jenseitsdreur, der Zwilling, versuchte einen aussichtslosen Angriff, den Saedelaere ohne große Mühe zurückschlug. Es schien, als habe der Stein das eingeschlossene Alter ego ebenso getroffen wie den Philosophen.
Sein Brustkorb hob und senkte sich, und ihm wurde so übel, daß er sich erbrochen hätte, wäre in seinem Magen noch ein Inhalt gewesen.
Mit aller Macht kämpfte er gegen die Bewußtlosigkeit. Seine rechte Seite bereitete ihm grausame Schmerzen.
Nach einer Weile sprach eine zaghafte Stimme auf interkosmo: „Bist du wach?"
Saedelaere öffnete die Augen. Er schaute auf.
Das schmale, blasse Gesicht war nun über ihm. Es waren sehr jugendliche Züge, doch die Augen offenbarten eine Ernsthaftigkeit, die man bei jungen Leuten selten fand.
„Mein Name ist Benjameen von Jacinta", hörte er den Jungen sagen.
Er brachte mit matter Stimme hervor: „Ich heiße Alaska Saedelaere."
Darüber schien der Junge eine Weile nachzudenken: Seine Augen kniffen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. „Sag deinen Namen noch mal."
„Alaska Saedelaere", wiederholte er, diesmal etwas lauter, immer noch sehr holprig.
„Dann bist du einer der Unsterblichen. Einer von Camelot."
„Ja."
„Wie kommst du hierher?"
Saedelaere wollte lächeln, doch seine rechte Wange war aufgeschürft. „Das frage ich eher dich, Benjameen von Jacinta."
Der Junge antwortete knapp: „Ich schlafe. Dies hier ist mein Traum."
Saedelaere konnte nicht dagegen an, er lachte matt, auch wenn es ihm Schmerzen bereitete. Er verstand nicht ein einziges Wort.
Saedelaere streckte seinen gesunden linken Arm aus. Benjameen von Jacinta versuchte ihn hochzuziehen. Sie schafften es mit einem Ruck, der ihm heftige Schmerzen bereitete.
Von der linken Seite hörte er ein leises Geräusch, eine Art Stöhnen. Er drehte den Kopf auf die Seite und sah, daß sich der Philosoph bewegte.
Dreur war am Leben. Wie lange er noch bewußtlos bleiben würde, ließ sich nicht sagen.
Durch den engen Kontakt mit Jenseitsdreur kannte Saedelaere die Mentalität des seltsamen Pärchens sehr genau. Er wußte, daß es keinen Spielraum für Verhandlungen gab, daß entweder der Philosoph sterben mußte oder aber Saedelaere, der Junge und eine unbekannte Zahl von intelligenten Wesen gleich mit ihnen.
Alaska Saedelaere schaute sich um.
„Was suchst du?"
„Das da."
Saedelaere bewegte sich mit schwankenden Schritten auf das Küchenmesser zu, das er zwischen den Felsen, nahe am Abhang, verloren hatte. Er bückte sich und hob das Messer auf.
„Was willst du tun?" fragte Benjameen von Jacinta.
„Ich werde ihn erstechen", antwortete er einfach.
Der junge Arkonide schluckte.
„Hör zu,
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