1879 - Phantome in Terrania
das noch gar nicht gesehen", meinte Amy. „Aber ich bin auch keine Psychologin.
Findelkind ist übrigens gut, mir ist noch keine passende Bezeichnung für ihn eingefallen. Ich habe einfach Nonggo zu ihm gesagt."
„Wie ist sein physischer Zustand?" wollte ich wissen.
„Ich würde ihn als normal einschätzen. Seit wir durch eingehende Untersuchungen festgestellt haben, welche Stoffe und Vitamine sein Körper benötigt, können wir ihn künstlich ernähren. Das’ hält seinen Metabolismus stabil. Von dieser Seite besteht keine Gefahr. Aber seine Psyche macht mir ernste Sorge. An sie ist noch, keiner der Spezialisten herangekommen. Ich hoffe, du schaffst das, Bré, sonst verlieren wir ihn. Es sieht nämlich ganz so aus, als sei er am Weiterleben uninteressiert. Vielleicht ersehnt er sogar den Tod."
Wir erreichten die Intensivstation für xenoformes Leben, in der der Nonggo untergebracht war. Ich war von dem sich mir bietenden Anblick entsetzt. Der Nonggo verschwand förmlich unter einer Batterie von medizinischen Geräten.
„Hallo, Findelkind!" sagte Amy zur Begrüßung. „Ich bringe dir lieben Besuch. Das ist Doktor Bré Tsinga, die deine Freundin werden möchte."
„Was sind das für Spezialisten, die den Nonggo unter medizinischen Folterinstrumenten begraben!"
machte ich meinem Ärger Luft. „Unter solchen Bedingungen würde ich auch nicht weiterleben wollen."
Ich wandte mich an den Medo-Robot und befahl: „Entferne alle diese Geräte. Der Nonggo bedarf ihrer nicht."
Der Medo versuchte den Einwand, daß das gegen die Anordnung irgendeines Professors wäre. Aber ich würgte das Veto ab, indem ich auf meine durch Cistolo Khan verbürgte Kompetenz verwies. Das wirkte, und von jenem Professor erreichte mich nie ein Protest, auch nicht, nachdem ich ihn seiner Haftung einfach enthob und die alleinige Verantwortung übernahm.
„Manchmal ist es doch ganz vorteilhaft, eine Berühmtheit zu sein", meinte ich feixend zu Amy.
Sie quittierte diese Äußerung mit einem Lächeln, dem man jedoch anmerkte, daß sie mich dennoch nicht beneidete.
Ich setzte mich an das Bett des Nonggo. Sein Gesicht war in der Tat tot. Wenn man wußte, zu welchem Mienenspiel Nonggo fähig waren, wie sie jedes Wort mit feinsten Nuancen ihrer Mimik unterstrichen, dann erschütterte einen diese totale Ausdruckslosigkeit.
„Wir sollten uns anfreunden, denn wir werden in nächster Zeit viel miteinander zu tun haben", sagte ich in freundlichem Plauderton, als sei ich mir sicher, daß er mich verstehen könne. „Ich weiß zwar noch gar nichts über dich, aber das kommt vielleicht noch. Da du dich aus irgendwelchen Gründen in Schweigen hüllst, mache halt ich den Anfang. Meinen Namen kennst du bereits. Ich heiße Bré Tsinga, aber du darfst mich einfach Bré nennen. Ich wurde auf dem Planeten Sabinn geboren ..."
Ich erzählte ihm einiges über mich, wie ich in der freien Natur von Sabinn aufgewachsen war, umgeben von den verschiedenartigsten einheimischen Tieren, die alle meine Freunde waren, zu denen ich sprach und deren Sprache ich verstand und daß ich darum eine „Tiersprecherin" genannt wurde.
Das war ein ganz wichtiger Ansatzpunkt. Denn wenn der Nonggo meine Worte in sein Bewußtsein aufnahm und mich verstand, dann wollte ich in ihm die Assoziation wecken, daß ich zu ihm wie zu meinen Tierfreunden sprach und auch ihn verstehen könnte, wenn er sich in Worten äußerte.
Doch auch das erweckte bei ihm keine Reaktion. Außer dem Schnaufen beim Atemholen gab er keinen Laut von sich. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel. Die Augen waren offen, aber sie schienen ihrer Wahrnehmung beraubt. Sie waren blicklos.
Ich seufzte. Dann erzählte ich ihm weiter über mein Leben. Wie ich in die Zivilisation kam und mich anfangs darin nicht ganz zurechtfand. Auch das war als eine Parallele zu seinem Schicksal gedacht, der von seinen Artgenossen in einer fremden, feindlich wirkenden Welt zurückgelassen worden war.
Und ich erzählte ihm von Jafko, meinem treuen Husslar, den ich mit in die Zivilisation nahm und den ich schließlich schweren Herzens zurück in die Wildnis von Sabinn bringen mußte, als er erwachsen geworden war und seine Raubtierinstinkte durchbrachen.
„Ich will dich nicht weiter mit Informationen über mich langweilen, Findelkind", sagte ich abschließend.
„Beim nächstenmal erzähle ich dir einiges über dein Volk."
Der Nonggo richtete sich unwillkürlich auf. Für einen Moment sahen mich seine braunen Augen direkt an,
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