1886 - Nach der Apokalypse
sie sich vernünftig verhielt. Damit die Dscherro nicht auf sie aufmerksam wurden.
„Ich weiß schon, ich versuche es ja", hauchte Darena, befreite sich aus Mimis Griff und stützte sich auf die Überreste der Mauer, hinter der sie sich in den letzten beiden Stunden versteckt gehalten hatten.
Die Terranerin lehnte ihren zitternden Körper an und strich sich müde das strähnige, verschwitzte dunkle Haar aus der Stirn. Die plötzliche Bewegung hatte ihren Kreislauf immerhin ein wenig in Schwung gebracht, und sie spürte, wie allmählich die Kräfte zurückkehrten.
*
Darena Sar war noch nicht soweit, sich völlig aufzugeben. Schon allein Mimis wegen. Sie hatte zwar viel Blut verloren, aber das war noch nicht lebensbedrohlich. Zwar schwächte sie es sehr und machte vor allem ihrem Kreislauf zu schaffen, doch das konnte sie in den Griff bekommen. Erschwerend war nur, daß die Wunde sich entzündet hatte; das Fieber glühte in ihr, aber wenigstens war kein Organ verletzt. Nur eine Fleischwunde, tief, jedoch nicht tödlich. Läge sie auf einer Medostation, würde sie gar nicht darüber nachdenken. Vermutlich würde sie da bereits an einer neuen Mode-Kollektion arbeiten, diesmal speziell für Kliniken.
Wir sind eben völlig verweichlicht, dachte sie in einem kläglichen Anflug von Ironie.
Solche Dinge erlebte man normalerweise nur vom bequemen Sessel aus, mit einem Trivid-Anschluß.
Doch seit der Invasion der Tolkander kamen die Terraner nicht mehr zur Ruhe. Erst nach dem endgültigen Ende der Kleinen Mütter erwachten die Einwohner Terrania Citys aus dem Alptraum. Man stellte sich darauf ein, wieder zum früheren Leben zurückzukehren, die Verluste zu verkraften. .
Und dann erschienen die Nonggo mit dem Heliotischen Bollwerk ... Plötzlich wieder Alarm, Schutzbunker mußten aufgesucht werden, und das Bollwerk explodierte. Stadtteile - sogenannte Faktorelemente - wurden kurz zuvor noch ausgetauscht. Noch bevor man sich von diesem Schock erholt hatte, überfielen die Dscherro die Stadt.
Darena Sar konnte sich nicht genau erinnern, wie es angefangen hatte. Es hatte ein Donnergrollen gegeben, dann waren plötzlich viele Luftbusse mit robotischem Personal gelandet, das zum Verlassender Stadt aufforderte. Die erste Schourcht war herangedonnert, mit diesen monströs aussehenden Fremden, die ihre feindlichen Absichten sofort deutlich machten, indem sie ohne Vorwarnung das Feuer eröffneten. Ihr Leben bestand wohl nur aus Kriegen und Schlachten, denn sie scheuten keinen Nahkampf, in dem sie ihre Stirnhörner, die Krallen der Hände und scharfen Klauen der Füße einsetzten.
Die Zeit für die Einwohner Terranias verging wie in einem grausamen Alptraum, verschleiert durch das viele Blut, die Zerstörungen, die schrecklichen und alles übertönenden Geräusche.
Darena Sar berührte sacht das dunkelgelockte Haar ihrer Tochter. „Du hast recht", sagte sie sanft, mit gefestigter Stimme. „Wir müssen unbedingt Kolon suchen, er ist bestimmt schon halb verrückt vor Sorge. Ich glaube, ich kann jetzt auch gehen."
„Wir sollten zuerst deinen Verband noch einmal erneuern", entgegnete Mimi.
Ohne weitere Umstände riß sie den nächsten Fetzen aus Darenas kostbarem Überwurf, von dem ohnehin nicht mehr viel übrig war. Das seidig schimmernde nachtblaue Übergewand hatte sich in ein staubiges, blutund schlammbespritztes Etwas verwandelt. Mimi war immer sehr stolz auf ihre elegante, schöne Mutter gewesen, die nur Kleidung ihrer eigenen Kollektion trug und der sie auch am besten stand, wie ihre treuesten Kundinnen neidlos zugaben.
Darena ließ sich widerstandslos verbinden; sie preßte die Lippen aufeinander, als Mimi den blutigen, teilweise festgeklebten Streifen ablöste, aber es kam kein Laut über ihre Lippen.
„Ich glaube, die Blutung hört auf", bemerkte das Mädchen, als es geschickt den neuen Streifen um die schmale Taille wickelte und sorgfältig die Wunde abdeckte. „Es wird alles wieder gut, ganz bestimmt." ‘ Mimis Stimme klang hoffnungsvoll, und Zuversicht lag auch in ihren dunklen Augen, als sie zu ihrer Mutter hochblickte. Ihr gelang sogar ein schüchternes Lächeln.
Darena liebte dieses ganz besondere Lächeln, das ihr kleiner Wirbelwind selten genug zeigte, und es gab ihr Mut, das war ihr deutlich anzumerken. Wenn die Blutung erst aufhörte, dann war der Kampf schon halb gewonnen.
Vorsichtig wagte sie den ersten Schritt, ein wenig zittrig und unsicher noch, aber sie dachte nicht darüber nach. Noch
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