Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1886 - Nach der Apokalypse

Titel: 1886 - Nach der Apokalypse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
waren erst vergangen ...
     
    *
     
    Ganz am Anfang, in den ersten beiden Stunden, hatte Mimi noch geschrien, und ihr war schlecht geworden. Furchtbare Dinge dieser Art hatte sie noch nie im Leben gesehen. Und das schlimmste war: Ihre eigenen Eltern, denen nichts unmöglich sein sollte, hatten selbst Angst und waren hilflos. Weder konnten sie gut kämpfen noch andere vor den Dscherro beschützen.
    Als die schrecklichen Bilder auch nach Stunden nicht verschwanden, hörte sie zu schreien auf. Sie hörte auch auf, vor jedem Blutstropfen zu erschrecken. Nur wenn die Dscherro ihr zu nahe kamen, konnte sie ihre Angst kaum mehr bezähmen. Sie hatte gesehen, was diese Wesen anderen antaten.
    Mimi war ein aufgewecktes Kind, war groß für ihr Alter und ihr schmaler Körper durch ausgiebiges Herumtoben gut trainiert. Wie die meisten Kinder hatte sie gern Verstecken gespielt, und das kam ihr jetzt zugute.
    Nachdem Darena durch einen Streifschuß schwer verwundet worden war, hatte Mimis Vater sich auf den Weg gemacht, um irgendwelche Medikamente oder wenigstens Schmerzmittel aufzutreiben. Darena hatte ihn angeschrien, daß das sinnlos sei, schließlich gäbe es außer ihr weitere Hunderttausende von Verletzten, aber er hatte nicht auf sie gehört. Die Sorge um Darena überwog jede Vernunft.
    Mutter und Tochter hatten eine Weile gewartet, dann war ein Wohnturm in ihrer Nähe umgestürzt, und sie waren gezwungen gewesen, das Versteck zu wechseln. Es war erst wenige Stunden her, seit sie sich in einem abgestürzten Luftbus vor dem Dscherro versteckt hatten. Nachdem ihnen der flüchtende Mann unbeabsichtigt den Rückzug ermöglicht hatte, waren sie einige Zeit ziellos in Abraumhalden umhergeirrt, immer auf der Flucht vor den Kämpfen.
    Durch viele Umwege kamen sie irgendwann wieder in die Nähe des Platzes, wo Kolon sich von ihnen getrennt hatte. Um sie herum waren Kämpfe in vollem Gange, aber Darena Sar hatte die Kraft verlassen. Sie konnten nun nicht mehr weiter.
    „Ich weiß nicht, ob ich aufstehen kann", wisperte Darena schließlich, als Mimi den Blick wieder auf sie richtete. „Ich habe überall Schmerzen und Fieber ..."
    „Es geht aber nicht anders!" rief Mimi verzweifelt und streichelte die linke Schulter. „Komm, du mußt aufstehen, wir müssen los! Papa suchen! Er hat bestimmt schon Medikamente für dich gefunden und will sie uns bringen. Bitte, Mama, steh auf!"
    Instinktiv spürte das Kind, daß es die Mutter bei Bewußtsein halten, sie aufrütteln mußte. Es sah sehr wohl, daß ihre Gesichtsfarbe in den letzten Stunden zusehends fahler geworden war, kalter Schweiß bedeckte ihren Körper, und aus der Wunde sickerte immer noch hin und wieder Blut.
    Mimi sah auch, daß Darenas Augen sich allmählich verschleierten und ihr Gesichtsausdruck abwesend wirkte. Sie hatte in den vergangenen Stunden so viele Sterbende gesehen, daß sie das Nahen des Todes deutlich erkennen konnte. Mimi hatte alle Gesichter des Leids gesehen, auch diese hatten sich in ihren Verstand fest eingebrannt, genauso wie die Schreie. Aber das durfte nicht mit ihrer Mutter geschehen. Sie mußte nur dafür sorgen, daß sie sich endlich bewegte.
    Nur wer sich nicht mehr bewegte und schwieg, starb. Das war eine der ersten Lektionen für Mimi seit der Invasion gewesen.
    Sie ergriff die linke Hand ihrer Mutter und versuchte, sie hochzuziehen. Darena stieß einen jämmerlich klagenden Schrei aus, ein hoher, dünner Laut, der kaum weiter als ein paar Meter hörbar war.
    „Bitte, Mama", bettelte Mimi in dauernder Wiederholung. „Steh doch auf, beweg dich! Sonst finden wir nie Hilfe, und Papa ..."
    Wenn der Mutter jetzt etwas geschah, war sie ganz allein, und davor hatte sie furchtbare Angst. Sie wußte ja nicht, wohin sie gehen sollte. Überall gab es nur Tote, und niemand würde sie finden oder sich um sie kümmern. Sie würde jämmerlich verhungern und verdursten. Wer würde sich schon für ein kleines Mädchen interessieren?
    Vielleicht waren sie beide auch die Letzten, die noch lebten. Vielleicht gab es niemanden mehr außer ihnen und irgendwo, verborgen lauernd, nur noch die Dscherro. Eine Welt voller Toter und deren Mörder ...
    Mimi preßte fest die Lippen aufeinander, um nicht laut loszuschreien. Sie mußte jetzt tapfer sein. Wenn sie ihre Angst zu sehr zeigte oder hysterisch wurde, wurde Darena vielleicht böse auf sie und ließ sie erst recht hier allein, um nach Kolon zu suchen. Sie hatte schon einmal gesagt, daß sie Mimi nur mitnehmen konnte, wenn

Weitere Kostenlose Bücher