1891 - Das Mädchen Siebenton
warum es zu spät für uns ist? Du hast einmal im Scherz darüber gesprochen. Nun ist es leider bitterer Ernst geworden."
Sie war wie in Trance, als sie den Zoo verließen. Benommen ließ sie sich von ihm zum Ausgang und zum wartenden Gleiter führen. Walyon brachte sie zu Lokhouts Villa und bot ihr an, mit ihr zusammen auf Lokhout zu warten, um ihr beizustehen, falls er ausfallend werden würde.
„Laß nur", sagte Siebenton, „ich habe den Schock hinter mir und werde allein auf mich aufpassen können. Komm, berühr mich ein letztes Mal! Danach werden wir uns erst wiedersehen, wenn ich ein Mann wie du bin - allerdings viel, viel jünger und natürlich viel besser aussehend."
Sie lachten befreit, und noch einmal, das definitiv letzte Mal in ihrem Leben, waren beide zärtlich zueinander.
Dann ging er. Siebenton kehrte allein ins Haus zurück, das ihr nie ein Heim gewesen war, und begrüßte mit Tränen in den Augen ihre beiden Kinder.
Was Walyon betraf, war sie todunglücklich. Hätte sie die CZAZCYK nur früher verlassen, um ihn noch anzutreffen und vielleicht auf seiner Mission zu begleiten! Doch der viel zu frühe Wechsel hatte auch sein Gutes.
Ihr Problem mit Lokhout hatte sich von alleine gelöst.
*
Lokhout war gezwungen, sich um sie zu kümmern, was er natürlich weitgehend seinen Bediensteten überließ. Als er von seiner Reise zurückkam und die Nachricht erhielt, hatte er zuerst getobt. Doch er konnte das Rad der Entwicklung nicht zurückdrehen.
Seine Partnerin wurde zu einem Mann. Und wie es bei den Mönchen Brauch war, mußte sich der jeweilige männliche Partner seiner bisherigen Partnerin annehmen, bis der Wandel vollzogen war.
Die Wechselphase war hart. In ihr, die mehrere Monate dauern konnte, war durch hormonelle Vorgänge die Intelligenz so weit herabgesetzt, daß die Noch-Mönchinnen der permanenten Fürsorge bedurften. Ständig war jemand um Siebenton herum, sie wurde bemuttert wie ein kleines Kind und erhielt Medikamente, und ihre eigenen Kinder standen ratlos davor. Sie begriffen noch nicht, was mit ihrer Mutter geschah.
Und dann, nach diesen endlosen Wochen, wachte Siebenton aus ihrem langen Dämmerschlaf auf und wußte, jetzt war sie ein Mann.
Die Benommenheit fiel von ihr ab wie ein alter Schleier, den man packte und wegwarf, weit hinter sich.
Sie war ein Mann, sie war ein Er und dieser Er war frei!
Das nächste, das neue Leben begann; das Leben, in dem alles anders und besser sein sollte, wo sie/er für sich selbst entscheiden und den so lange unterdrückten Neigungen und Leidenschaften nachgehen konnte.
Er war Siebenton, aber er dachte in großen Teilen noch wie eine Sie und daran, was die Männer der Mönche ihren Frauen antaten; daß es ohne die harte Arbeit der Frauen und ihre Kinder keine mönchische Zivilisation geben würde.
Siebenton schwor sich, das niemals zu vergessen - egal wohin ihr Weg sie auch führen würde.
Noch ahnte sie nicht, was vor ihr lag. Sonst hätte sie sich nicht so befreit gefühlt.
Siebenton hatte sich tatsächlich nie darum gekümmert, wie der Wechsel von Frau zum Mann genau aussah und wie die Unterschiede zwischen Frau und Mann, die nicht ganz so offensichtlich waren.
Sie sollte es jetzt kennenlernen, auf ihrem harten, steinigen Weg zur Macht.
ENDE
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