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19 Minuten

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Titel: 19 Minuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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auf dem Tisch stand. »Ich werde unser Gespräch aufzeichnen ... einfach für den Fall, dass ich schusselig bin und alles vergesse.« Der Detective drückte den Aufnahmeknopf und setzte sich Josie gegenüber. »Kriegst du oft zu hören, dass du deiner Mom ähnlich siehst?«
    »Nee, nie.« Sie legte den Kopf schief. »Außerdem sehe ich ihr nicht ähnlich.«
    »Ich finde schon. Vor allem die Augen.«
    Josie blickte nach unten auf den Tisch. »Ich hab eine ganze andere Augenfarbe als sie.«
    »Die Farbe meinte ich auch nicht«, erwiderte der Detective. »Josie, erzähl mir noch mal, was du an dem Tag in der Schule gesehen hast.«
    Unter dem Tisch presste Josie die Hände zusammen. Sie grub die Fingernägel der einen Hand in die Handfläche der anderen, damit irgendwas stärker schmerzte als die Worte, zu denen er sie zwang. »Ich sollte an dem Tag eine Chemieklausur schreiben. Ich hatte bis spät abends dafür gelernt, und als ich morgens wach wurde, hab ich daran gedacht. Mehr weiß ich nicht. Das hab ich
    Ihnen doch schon alles gesagt. Ich kann mich nicht mal dran erinnern, dass ich überhaupt in der Schule war.«
    »Kannst du dich erinnern, warum du im Umkleideraum ohnmächtig geworden bist?«
    Josie schloss die Augen. Sie konnte sich den Umkleideraum vorstellen - den Fliesenboden, die grauen Spinde, die einsame Socke in einer Ecke. Und dann wurde alles so rot wie Zorn. Rot wie Blut.
    »Nein«, sagte Josie, doch Tränen machten ihre Stimme hauchdünn. »Ich weiß nicht mal, warum ich weinen muss, wenn ich daran denke.« Sie hasste es, so gesehen zu werden; sie hasste es, so zu sein. Und am meisten hasste sie, dass sie nie vorher wusste, wann es passieren würde. Josie nahm das Kleenex, das Ducharme ihr hinhielt. »Bitte«, flüsterte sie, »darf ich jetzt gehen?«
    Er zögerte einen Moment, und Josie spürte das Mitleid des Detective über sie fallen, wie ein Fangnetz, das nur ihre Worte festhielt und alles andere - Scham, Wut, Angst - einfach durchließ. »Natürlich«, sagte er. »Du kannst gehen, Josie.«
    Alex tat so, als läse sie die amtlichen Bekanntmachungen der Stadt Sterling, als Josie plötzlich durch die Sicherheitstür in den Wartebereich stürmte. Sie weinte heftig, und von Patrick Ducharme war weit und breit nichts zu sehen. Ich bring ihn um, dachte Alex ganz kühl und rational, aber erst kümmere ich mich um meine Tochter.
    »Josie«, sagte sie, als Josie an ihr vorbei aus dem Gebäude auf den Parkplatz rannte. Alex eilte ihr nach und holte sie schließlich vor ihrem Auto ein. Sie schlang die Arme um Josies Taille und spürte, wie sie gegen sie sank. »Lass mich in Ruhe«, schluchzte Josie.
    »Josie, Schätzchen, was hat er gesagt? Sprich mit mir.«
    »Ich kann nicht mit dir reden! Du verstehst gar nichts. Keiner von euch.« Josie wich zurück. »Und die, die es verstehen, sind alle tot.«
    Alex zögerte, wusste nicht, wie sie reagieren sollte.
    »Josie, ich weiß, es ist schwer, aber du bist stärker, als du denkst, und -«
    Josie stieß sie heftig zurück. »Hör auf, so mit mir zu reden!«
    »Wie rede ich denn?«
    »Als wäre ich irgend so eine Scheißzeugin oder Anwältin, bei der du Eindruck schinden willst!«
    »Euer Ehren. Entschuldigen Sie die Störung.«
    Alex fuhr herum und sah Patrick Ducharme hinter ihnen stehen. Er musste jedes Wort mitbekommen haben. Sie wurde rot. Genau so ein Verhalten konnte man sich als Richterin in der Öffentlichkeit nicht leisten.
    »Ihre Tochter«, sagte er. »Hat ihr Sweatshirt vergessen.«
    Das rosa Kapuzenshirt hing ordentlich gefaltet über seinem Arm. Er gab es Josie, und anstatt sich anschließend abzuwenden, legte er ihr eine Hand auf die Schulter. »Keine Sorge, Josie«, sagte er und sah ihr in die Augen, als wären sie beide allein auf der Welt. »Wir bringen das schon wieder in Ordnung.«
    Alex rechnete damit, dass Josie auch ihn anschnauzen würde, doch seine Berührung schien sie zu beruhigen. Sie nickte, als glaubte sie das zum ersten Mal seit jenem schrecklichen Tag.
    Alex spürte etwas in sich aufsteigen - Erleichterung, dass ihre Tochter zum ersten Mal nach einem kleinen Stückchen Hoffnung griff. Und Bedauern, weil nicht sie es gewesen war, die wieder ein wenig Frieden auf Josies Gesicht gezaubert hatte.
    Josie wischte sich mit dem Sweatshirtärmel über die Augen. »Geht's wieder?«, fragte Ducharme.
    »Ich glaub schon.«
    »Gut.« Der Detective nickte in Alex Richtung. »Euer Ehren.«
    »Danke«, murmelte sie, als er sich umdrehte und zurück

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