19 Minuten
vorgeworfen, sie habe ihn blamieren wollen.
Lacy verdrängte die Frage, ob Lewis und sie und die Kinder wirklich eine glückliche Familie waren. In letzter Zeit, wenn Lewis Uberstunden machte, weil er wieder mal einen Abgabetermin hatte, und Lacy vor Erschöpfung im Stehen hätte einschlafen können, redete sie sich sein, es sei einfach eine Phase, die wieder vorübergehen würde. Schließlich hatte sie einen Mann, der sie liebte, zwei gesunde Jungs und einen Beruf, an dem sie sehr hing - und sie war gern bereit, Strapazen auf sich zu nehmen, wenn sie ihn nur weiter ausüben konnte. War nicht gerade das die Definition vom Glücklichsein, dass man bekam, was man schon immer hatte haben wollen?
Sie merkte, dass Peter wunderbarerweise an ihrer Schulter eingeschlafen war, die süße Pfirsichwange an ihre nackte Haut gedrückt. Auf Zehenspitzen schlich sie die Treppe hinauf, legte ihn behutsam in sein Bettchen und warf dann einen Blick zu dem
Bett hinüber, in dem Joey schlief. Das Mondlicht liebkoste ihn förmlich. Sie fragte sich, wie Peter wohl in Joeys Alter sein würde. Sie fragte sich, ob Eltern ein zweites Mal so viel Glück haben konnten.
Alex Cormier war jünger, als Lacy gedacht hatte. Vierundzwanzig - das entnahm Lacy dem Anmeldeformular für den Geburts-vorbereitungskurs -, aber Alex Cormier strahlte so viel Selbst-bewusstsein aus, dass sie zehn Jahre älter wirkte. »Was machen Sie beruflich?«, fragte Lacy.
Alex blickte sie einen Moment skeptisch an. »Juristin«, sagte sie dann.
»Sie sind Anwältin?«, fragte Lacy und blickte von ihren Notizen auf.
»Pflichtverteidigerin. Seit Kurzem.« Alex machte sich innerlich auf eine abfällige Bemerkung gefasst.
»Das ist bestimmt eine anspruchsvolle Arbeit«, sagte Lacy. »Wissen Ihre Kollegen bereits von Ihrer Schwangerschaft?«
Alex schüttelte den Kopf. »Nicht nötig«, sagte sie knapp. »Ich werde nämlich keinen Mutterschaftsurlaub nehmen.«
»Und wenn Sie es sich doch noch anders überlegen, sobald -«
»Ich behalte das Baby nicht«, verkündete Alex.
Lacy lehnte sich zurück. »Verstehe.« Sie verurteilte grundsätzlich keine Mutter, die sich gegen ein Kind entschied. »Wir können auch über andere Optionen reden«, sagte Lacy. In der elften Woche konnte Alex sich noch immer für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden.
»Ich hatte eine Abtreibung vor«, sagte Alex, als hätte sie Lacys Gedanken gelesen. »Aber ich hab den Termin verpasst.« Sie blickte auf. »Zweimal.«
»Wenn das so ist«, sagte sie, »kann ich Ihnen Informationsmaterial über Adoptionen geben, falls Sie sich noch nicht selbst an entsprechende Stellen gewandt haben.« Sie griff in eine Schublade und holte Broschüren heraus - konfessionelle Adoptionsvermittlungen, Anwälte, die auf private Adoptionen spezialisiert waren. Alex nahm die Faltprospekte und hielt sie wie Spielkarten in der Hand. »Aber fürs Erste können wir auch über Sie reden, darüber, wie Sie sich fühlen.«
»Ich fühl mich prima«, erwiderte Alex prompt. »Mir ist nicht übel, ich bin nicht müde.« Sie sah mit einem Anflug von Gereiztheit auf die Uhr. »Ich habe allerdings einen dringenden Termin.«
Das letzte Mal, als Alex' Körper nicht auf ihren Verstand gehört hatte, war sie schwanger geworden. Es hatte ganz harmlos angefangen - Logan Rourke, ihr Professor für Prozessrecht, hatte sie in sein Büro bestellt, um ihr zu sagen, dass sie den Gerichtssaal mit Kompetenz beherrsche, dass kein Geschworener die Augen von ihr lassen könne - genauso wenig wie er. Für Alex war Logan Starjurist und Gott in einem. Prestige und Macht konnten einen Mann so attraktiv machen, dass es einem den Atem raubte - und Logan in das verwandeln, wonach sie ihr Leben lang gesucht hatte.
Sie glaubte ihm, wenn er sagte, er habe in seinen zehn Jahren an der Fakultät noch keine Studentin erlebt, die eine so rasche Auffassungsgabe hatte wie Alex. Sie glaubte ihm, als er sagte, seine Ehe bestehe nur noch auf dem Papier. Und sie glaubte ihm, als er sie nach der Uni nach Hause fuhr, ihr Gesicht in beide Hände nahm und sagte, sie sei der Grund, warum er morgens aufstand.
Nachdem Alex sich mit Logan eingelassen hatte, verlor sie ihre nüchterne Zielstrebigkeit. Auf einmal verschob sie Pläne, wartete auf seinen Anruf, der manchmal kam und manchmal nicht. Sie tat so, als würde sie nicht mitbekommen, wenn er mit den Erst-semesterinnen flirtete, die ihn genauso anhimmelten wie sie ihn einst. Und als sie kurz vor dem Examen
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