19 Minuten
nicht noch eine.
Und noch am selben Abend vollzog Alex eine Art Exorzismus. Sie warf ihren Holzkohlegrill an und verbrannte jede Hausarbeit, die sie je für Logan Rourke geschrieben hatte. Sie hatte keine Fotos von ihnen beiden, keine Liebesbriefe von ihm - im Nachhinein wurde ihr klar, wie vorsichtig er gewesen war, wie leicht er sich aus ihrem Leben tilgen ließ. Und sie sich aus seinem.
Dieses Baby, beschloss sie, würde ihr allein gehören. Sie schaute den Flammen zu und dachte, wie viel Raum es in ihr einnehmen würde. Sie stellte sich vor, wie ihre Organe, selbst ihr Herz, beiseite rückten und ihre Haut sich dehnte, um Platz zu machen. Sie dachte nicht darüber nach, ob sie das Baby bekommen wollte, um zu beweisen, dass sie sich die Beziehung zu Logan Rourke nicht nur eingebildet hatte, oder um ihm heimzuzahlen, wie er sie behandelt hatte. Denn wie jede Prozessanwältin weiß, stellt man Zeugen keine Fragen, auf die man selbst die Antwort nicht kennt.
Noch Jahre später fragte Alex sich manchmal, ob sie deshalb eine gute Pflichtverteidigerin geworden war, weil sie wirklich das Zeug dazu hatte oder weil sie Logan hatte beweisen wollen, dass er sich getäuscht hatte. Wie auch immer, Alex urteilte nicht über ihre Mandanten, als Juristin tat sie alles für sie, egal, was sie persönlich über sie dachte. Sie hatte es sich schlicht zum Prinzip gemacht, Straftätern - und darunter waren wirklich üble, gewalttätige Burschen - zu ihrem Recht zu verhelfen, ohne sie dabei an sich herankommen zu lassen.
Den Fehler hatte sie einmal gemacht - mit Logan.
Fünf Wochen nachdem sie sie untersucht hatte, war Lacy nicht mehr nur Alex' Hebamme. Sie war ihre Vertraute, ihre beste Freundin, ihr Kummerkasten. Obwohl sie normalerweise keine Privatkontakte mit Patientinnen pflegte, hatte sie bei Alex die Regeln gebrochen. Sie begründete diese Ausnahme vor sich selbst damit, dass Alex jetzt, da sie das Baby behalten wollte, Unterstützung brauchte, weil sie sonst niemanden hatte, bei dem sie sich wohlfühlte. Alex und Lacy waren zwar grundverschieden -so verdrehte Alex die Augen, wenn Lacy einem stadtbekannten Penner einen Zehndollarschein zusteckte, den der doch nur in die nächste Kneipe tragen würde -, aber sie mochten sich gern.
Wenn sie Zeit hatten, trafen die beiden Frauen sich auf einen Kaffee. Meistens hatte Lacy dann den kleinen Peter bei sich. Alex beobachtete fasziniert, wie selbstverständlich Lacy mit ihrem Baby umging, es etwa mühelos aus einigen Schichten Kleidung schälte und sich auf den Schoß setzte. Oder sich, während sie plauderten, ein Tuch über die Schulter legte und Peter stillte.
»Ist das schwer?«, wollte Alex eines Tages wissen.
»Das Stillen?«
»Nicht nur das«, sagte Alex. »Ich meine, alles.«
»Naja, es ist eindeutig eine erlernte Fähigkeit.« Lacy hob den Kleinen an ihre Schulter. Er kickte ihr mit seinen Schühchen gegen die Brust, als wollte er jetzt schon Distanz zu ihr herstellen. »Aber verglichen mit deinem Job ist Mutterschaft vermutlich ein Klacks.«
Lacy putzte Peter behutsam die Nase.
»Darf ich dich mal was fragen?«, begann sie, und Alex nickte langsam. »Wieso wolltest du dein Baby zuerst abgeben?«
»Weil der Zeitpunkt nicht gut war«, sagte Alex.
Lacy lachte. »Ich weiß nicht, ob es überhaupt einen guten Zeitpunkt gibt, ein Baby zu bekommen. Das Leben wird so oder so auf den Kopf gestellt.«
Lacy richtete kurz das Hemdchen ihres Babys. »In gewisser Weise sind unsere Berufe gar nicht so verschieden.«
»Wahrscheinlich ist die Rückfallquote ungefähr gleich«, sagte Alex.
»Nein ... ich meine, wir sehen die Menschen, mit denen wir zu tun haben, im unverfälschten Zustand. Deshalb bin ich so gern Hebamme. Da sieht man, wie stark jemand in einer Extremsituation ist.« Sie blickte Alex an. »Wenn man sich auf das Wesentliche konzentriert, sind Menschen erstaunlich ähnlich, findest du nicht?«
Also gut, dachte Alex. So ist das also, wenn man stirbt.
Eine weitere Wehe durchbohrte sie, Schüsse auf Metall.
Sie musste an den Geburtsvorbereitungskurs denken, zu dem Lacy sie überredet hatte, in dem sie die einzige Teilnehmerin ohne Partner war. Sie hatten Fotos zu sehen bekommen von Frauen in den Wehen, Frauen mit verzerrten Gesichtern und zusammengebissenen Zähnen, Frauen, die nicht mehr wie sie selbst aussahen. Alex hatte bloß spöttisch die Nase gerümpft. Die zeigen die schlimmsten Fälle, hatte sie sich eingeredet. Jeder Mensch hat eine andere
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